Psychodrama
Das Psychodrama in einem didaktischen Modell
Als ich vor über 30 Jahren mit dem Psychodrama in Berührung kam, wusste ich noch nicht, wie sich meine berufliche Laufbahn damit verändern würde.
Ich, zuerst als Lehrer und dann später als Dozent und Prof. für Schulpädagogik und Allgemeine Didaktik/Gruppenpädagogik hatte bisher die üblichen didaktischen Theorien und Modelle rezipiert und war
dabei immer unzufrieden und mit einem schlechten Gewissen meinen Studenten gegenüber. Der Grund: Unterricht in all seinen Formen war etwas anderes als karge und blutleere Theoriegebäude und
Abstraktion. Ich wollte eine echte Verbindung zwischen Reflexion und Handeln.
Ich ging also auf die Suche nach neuen Perspektiven und neuen Ansätzen für eine postmoderne Didaktik.
Ich stieß auf die sogen. Humanistische Pädagogik. Was war das? Sie haben wohl alle den Grundrahmen einer positiven und hoffnungsvollen Betrachtung des jungen Menschen und das Vertrauen auf die innere
Kraft und Selbstorganisation des Menschen.
Ich fand zunächst den wundervollen Ansatz von Rogers über die Kommunikations- und Interaktionsplattform. Sie war aber für eine umfassende Didaktik zu wenig.
An Wochenenden besuchte ich im Odenwald Institut workshops mit der Transaktionsanalyse, die Neurolinguistische Programmierung, der Vier Seiten einer Nachricht, der Themenzentrierten
Interaktion, der Gestalttherapie und schließlich dem Psychodrama.
Damals konnte ich diese neue Welt zwar bestaunen, aber nicht sofort in ein Integratives Konzept einer neuen Didaktik verstehen.
Das Psychodrama hat mich begeistert und bei ihm bin ich hängen geblieben. Ich ahnte, dass ein großes Potential an „didaktischer Energie darin lag, die Spannweite von Theorie und
tatsächlichem Handeln riesengroß war.
Ich erfuhr Stück für Stück die Möglichkeiten für den Unterricht und für die Gebiete der Erwachsenenbildung durch die psychodramatischen Methoden: Meine Ausbildung im Psychodrama, dann meine
eigenen Seminare an der Hochschule und in den Fortbildungsseminaren verwandelten sich in eine Bühne voller Überraschungen und Erfolge.
Aber o weh!
Wo lässt man sich da ein!
1. Morenos Gedankengut
Morenos Gedankengut ist für Außenstehende eine teilweise abstruse Welt. Allein die Sprache ist außerhalb des Alltags, die Bindung an eine Kosmologie ist für viele heute nicht mehr verständlich und
die grenzenlose Naivität an die Veränderung der Welt ist heute nicht mehr akzeptabel.
2. Morenos Nachfolger
Es gibt bis heute eine tiefe Verehrung an den Meister durch die Wegbegleiter/innen, Man glaubte, die Erforschung der Genialität Morenos würde zu weiteren neuen Einsichten und Veränderungen
führen.
Es entstand eine Zentrierung auf die Bereiche Therapie und Gruppenpsychotherapie unter gleichzeitigem Ausschluss von anderen Bezugsfeldern und Berufsgruppen.
Eng damit verbunden war das ängstliches Beharren auf keine „Verwässerung“ der Konzeption Morenos.
Die Defizite und Mängel an empirischen Ergebnissen ist bis heute deutlich., Leider gibt es wenig neue Sichtweisen auf soziologische, psychologische und anthropologische Hinsicht auf der Grundlage der
Moreno`schen Theorie..
3. Meine eigene Situation
Ich kam aus einem frühen didaktischen Aufbruch: Meine Bekanntschaft mit dem damaligen Konstrukteur einer neuen Didaktik, Paul Heimann, beflügelten mich, die didaktische Welt zu erforschen
und neue Perspektiven den handelnden Lehrenden und den Lernenden in allen didaktischen Kontexten zur Verfügung zu stellen.
Diese Arbeit wird mich mein Leben lang begleiten, weil ich nach wie vor die riesigen Defizite in der deutschen Didaktik, vor allem in der deutschen Schule in der Frage des Respekts und der
Achtung des einzelnen Lernenden und des einzelnen Lehrenden sehe.
Ich arbeitete inzwischen an meiner eigenen Theorie über die Didaktik als Subjektive Didaktik. Die Ausgangslage war das Subjekt in allen Variationen, diese fand ich bei Bateson, Ciompi, Maturana,
Capra, Rogers, R. Cohn, Watzlawick, Luhmann, v. Foerster und schließlich bei Ella Shearon, meiner späteren Lehrerin des Psychodramas bei Moreno.
Mein didaktischer Rahmen begann sich zu verändern. Die Sicht weise einer Bildungstheorie (Klafki), einer Theorie der Steuerung von Lernprozessen,(v. Cube), einer behavioristischen Lerntheorie usw.
genügten meinen Ansprüchen nicht mehr.
Ich hatte entschieden, nicht mehr nach Einheit und Ganzheit zu konstruieren, sondern postmodernes Denken zu beachten, das Altes und Neues zusammen sieht, das nach neuen Übergängen zwischen
Strukturen, Werten und Systemen sucht.
Postmodernes Denken denkt nicht ausschließlich linear, monistisch, sondern mehrreihig zyklisch und zirkulär. Ich trat dafür ein, zunächst nicht Homogenität zwischen allen diesen Ansätzen zu
suchen, sondern sich erst einmal mit partikularistischen Versionen, mit unterschiedlichen Sinnsystemen, unterschiedlichen Rationalitätsformen und sittlichen Beurteilungsrahmen auseinanderzusetzen. Es
war die Konstruktion einer Finde- Theorie, also nicht eine Einheits-Theorie mit ihren vielen Brüchen und Verabsolutierungen (Kösel 1995).
4. Das Psychodrama als Referenztheorie für die Didaktik
Eine postmoderne Didaktik sollte in meinem Rahmen ein paar wenige Basistheorien und auf der operativen Ebene einige Referenztheorien enthalten sein.
Zu den Basistheorien rechnete ich die Theorie lebender Systeme (Autopoiese), den radikalen Konstruktivismus (wie konstruieren wir Wissen), die Habitustheorie nach Bourdieu (die frühe kulturelle und
familiäre Prägung des Einzelnen in einer Kultur), die Theorie der funktionalen Differenzierung (Luhmann, Willke) als Lernen und Lehren in Organisationen und Systemen und die Ergebnisse aus der
Hirnforschung als grundlegendes anthropologisches Fundament.
Zu den Referenztheorien rechnete ich das Psychodrama, die Transaktionsanalyse, die Themenzentrierte Interaktion und die Gestaltpädagogik.
Zu den Basiskomponenten des Unterrichts rechnete und rechne ich heute noch das von Ruth Cohn vorgeschlagene Dreieck: Ich-Bereich-Wir-Bereich und Sachbereich in ihrer Themenzentrierten
Interaktion.
Im Rahmen dieses Aufsatzes will ich aber nur auf das Psychodrama
eingehen.
Die Anschlussfähigkeit des Psychodrama im didaktischen Kontext
- Wenn ein herkömmlicher Psychodramatiker in das Reich der Didaktik einen Blick wirft, so wird er sich abwenden und im Gebäude des orthodoxen Psychodramas als eine therapeutische Referenz
bleiben.
- Wenn ein postmoderner Psychodramatiker sich dem Bereich der Didaktik zuwendet, wird er eine Fülle von Anschlüssen im didaktischen Handeln entdecken.
- Wenn ein herkömmlicher Didaktiker etwas von Psychodrama hört und keine Erfahrung darin sammelt, wird er sich von diesem Wust, dem Durcheinander von Religion, Größenwahn usw. schaudernd abwenden.
Diese fremdartige Welt passt nicht zur Aufgabe eines modernen Didaktikers.
- Wenn ein neugieriger und kreativer Didaktiker nach neuen Wegen der Begegnung zwischen ihm als Lehrenden und den Lernenden, dem Schüler und Schülergruppen, den Interaktionssystemen der
Erwachsenen sucht, dann wird er das Psychodrama begeistert erfahren und die Techniken und Methoden des Psychodramas im Unterricht und in der Welt der Erwachsenenbildung verwenden.
Die Anschlussbereiche und die Ausschlüsse:
Zu den Ausschlüssen
Für einen postmodernen Pädagogen in nahezu allen Berufsfeldern wird der dogmatische Ausschluss eklatant: Ein postmoderner Pädagoge verabscheut jegliche Verabsolutierung und Beschreibungen von
Wesensformen, Dogmen und Atomisierungen. Es ist eine radikale Abkehr von dogmatischen Haltungen und das Beharren aus nur einer Sicht. Im Gegenteil: er sucht verschiedene Rationalitätstypen und
Pluralisierungen. So kommt er zu vielfältigen Verbindungen und zu neuen Perspektiven. Er dehnt damit seine Optionen für sein didaktisches Handeln aus ohne in Beliebigkeit und banalen Relativismus zu
verfallen. Dabei gilt immer, dass Didaktik und Pädagogik keine präskriptive Theorie sein darf, sondern eher eine Theorie des Nachhinein und des Reflektierens. Didaktisches Handeln hat ganz andere
Bezüge und Dimensionen als eine abstrakte Theorie.
Diese Trennlinie zwischen Psychodrama und der pädagogischen Welt muß zunächst scharf gezogen werden.
Ein weiterer Ausschluss geht in Richtung Therapie. Therapie als eine semantische Einheit bedeutet Anspruch auf Professionalität und Erfolg im Heilprozess. Moreno hat eine Fülle von
therapeutischen Vorschlägen und Methoden hervorgebracht, er hat auch einen pädagogischen Rahmen gesucht, aber es bleibt bei ihm als eine Theorie therapeutischer Absicht (Buer). Diese scharfe Kante
mit dem Begriff Therapie ist geblieben bis auf den heutigen Tag.
Die beiden Sphären Therapie und Pädagogik/Didaktik sind bis heute mehr oder weniger getrennt.
Warum?
Die Semiotischen Ebenen
Wenn man die Grundkategorien Bezeichnung und Bedeutung aus der Semiotik heranzieht, so werden sofort die zwei verschiedenen Ebenen deutlich:
-Die Sphäre Morenos Therapie gehört eindeutig der Konvention der Pathologie, der Krankheit und des Heilens an. Der Begriff Psychodrama hat die kulturelle Konvention zu den Objekten Psycho und zu dem
aus der Antike stammende Begriff Drama. Aus dieser Zusammensetzung ergibt sich eben das Psychodramatische Konzept einer therapeutischen Absicht. Psychodrama weist somit eine Struktur auf, die durch
kulturelle Kodes erzeugt wurde.
- Die Sphäre Pädagogik/Didaktik gehört eindeutig der Konvention des Lernens, des Wissens und der Wissen- Leistung an.
Die Konvention schließt den Bereich Kranksein, Heilung, Katharsis eindeutig aus. Der Begriff Psychodrama gilt auf dieser Ebene nicht als resonante Konvention, sondern eher als Gegenbegriff und als
irrelevant für Lehr- und Lernprozesse. Wer also wagt, Konventionen aus anderen Bereichen in die Ebene der Didaktik übernehmen zu wollen, stößt auf eine Reihe von Vorurteilen und Abwertungen.
Dies wird am deutlichsten, wenn ein junger Pädagogen mit einer psychodramatischen Ausbildung in die Schule kommt, wird er sofort bekämpft und sanktioniert mit dem Verdikt, das alles sei Spinnerei,
Psychokram und Unfug. Oder wenn man die neueste Version bei Wikepedia liest, wo das Psychodrama im Bereich Unterricht auf eine miserable Weise dargestellt wird.
Mein Versuch, das Wort und damit die Semiotik „Psychodrama- Didaktik“ in die Pädagogik und Didaktik ein zu führen, ist aus diesen Gründen gescheitert. Mein nächster Versuch, aus der semiotischen
Sackgasse „Psycho“ und „Drama“ in der Didaktik herauszuführen, war, die Potentiale und Konzeption des Psychodrama in eine lesbare Version für den Bereich Pädagogik/Didaktik zu bringen, war die
Benennung „Szenische Didaktik“. Sie ist m.E. die neue Plattform für eine Integration zwischen originärem Gedankengut des Psychodrama und einer modernen Didaktik.
Die Dogmatische Ebene
Man kann die Ebene Psychodrama als nahe zu operational geschlossenes System bezeichnen, die selbstreferentiell folgende Hauptmerkmale aufweist:
Tiefste Verehrung an den Meister durch die Wegbegleiter/innen, Dogmatische Plattformen in der Auslegung seine Gesamttheorie, Zentrierung auf die Bereiche Therapie und Gruppenpsychotherapie,
die Reproduktion von Grundbegriffen im Zusammenhang mit Gott, Schöpfer und Welt, Exklusion von anderen Bezugsfeldern und Berufsgruppen, geduldete Professionals aus den Nicht- therapeutischen Räumen
in der Ausbildung, ängstliches Beharren auf keine „Verwässerung“ der Konzeption Morenos als erfahrungswissenschaftliche Interaktionshermeneutik(Buer). Es gibt auch Epigonen- Ängste und Abwehr
gegenüber anderen Bezugssystemen. Zu beobachten ist auch eine Selbstreferentielle Zirkulation in der Begrifflichkeit und in der Psychodrama-community. Nach außen gibt es einen großen Mangel an
empirischen Untersuchungen und wenig neue Sichtweisen auf soziologischer, psychologischer, didaktischer und anthropologischer Hinsicht.
Der Versuch, Teilsaspekte einer kosmologischen Theorie in eine andere Welt des Lehrens und Lernens übernehmen zu wollen, bedeutet:
1. Der Kampf um die „Wahrheit“ wird versteckt oder offen von den jeweiligen Vertretern vehement geführt und verteidigt.
2. Der Versuch, das Konzept PD in Transformationsprozesse umzubauen, scheitert an dem heimlichen Widerstand der dogmatischen Vertreter. Es gibt aber auch im Bereich der Pädagogik/Didaktik Psychodrama
Vertreter, die in ihrer Energie nicht stark genug sind, eine wirksame und effektive Plattform sowohl theoretisch, empirisch und im Handlungsbereich überzeugend zu errichten, aufzubauen und im
gesellschaftlichen Kontext als eine erfolgsversprechende didaktische Vision im Sinne einer Konzeption für bessere Lernleistungen darzustellen.
3. Trotz positiver Erfahrungen mit dem Psychodrama in der Ausbildung gelang es wenigen auf der akademischen Ebene in Lehre und Forschung das Psychodrama als eine wissenschaftlich ernst zu nehmende
Disziplin oder als hoffnungsvolle Methode im Unterricht neben den alten verkrusteten Strukturen einzuführen und zu etablieren.
4. Die Vertreter des klassischen Psychodramas in seiner jetzigen Gestalt haben sich kaum um die Weiterentwicklung der einzelnen Gebiete (Axiologie, Gesellschaft, Soziometrie, Soziatrie,
Soziodynamik) bemüht. Die Parallelentwicklungen in der Psychologie (Z.B. die Konzeption der „Aufstellungen“ n. Hellinger u.a.), in der Soziologie (z.B. die Systemtheorie n.Luhmann, Willke,
Nassehi: die Prinzipien der Selbstorganisation, Selbstreferentialität und Selbsterhaltung) und in der Pädagogik (z. B. die konstruktivistische Pädagogik n. Reich, Kösel, Siebert) sind im Bereich des
PD kaum zur Kenntnis genommen worden. Die Suche nach einem gemeinsamen Netzwerk zwischen „psychodramatischen Therapeuten und psychodramatischen Didaktikern und Pädagogen zu einer konkreten
Gerechtigkeitsarbeit trotz unterschiedlicher Rationalitätsmuster ist leider nicht gelungen.
5. Beide Systeme führten und führen heute noch eher eine pragmatische Koexistenz. Ich selbst bin in dieser Koexistenz groß geworden; ein neues integratives Konzept kann ich trotz vieler Bemühungen
bis zum heutigen Tag nicht erkennen.
6. Die Psychodramatiker in Deutschland haben es versäumt, ihre erfolgreichen Aktivitäten einer empirischen Forschung zu unterziehen und selbständige empirische Methoden zu entwickeln. Damit ist ein
großer Glaubwürdigkeits-Verlust entstanden. Anträge an die Deutsche Forschungsgemeinschaft mit psychodramatischer Relevanz werden sofort abgelehnt, weil sie nicht den herkömmlichen Standards der
empirischen Forschung entsprechen.
7. Seit einiger Zeit bin ich außerhalb der Systeme. Ich beobachte neue Versuche, die das Psychodrama im Didaktischen Bereich bekannt machen wollen, leider aber wieder aus der selbstreferentiellen
Brille des Therapeutischen (siehe neueste Version Psychodrama in Wikipedia, vom 4.6.12) Warum gelingt es nicht, ein Netzwerk von Psychodramatiker aus vielen Bereichen zu bauen, das gemeinsame
Solidarität, Loyalität, gegenseitige Anerkennung und gegenseitigen Austausch sich zum Ziel gemacht hat? Die großen Sprüche von „Weltveränderung“ müssten zunächst einmal in kleinen Schritten im
Lager der Psychodramatiker selbst eingelöst werden.
Ich glaube, ein hoher Anteil an „narzistischer Energie“ seitens mancher Psychodrama- Therapeuten möchte verhindern, dass diese universelle Methode des Psychodramas auf andere Berufsfelder übertragen
werden könnte.
Kreativität und Spontaneität
Auf der Suche nach „psychodramatischen“ Anschlüssen haben wir natürlich die dominanten Prinzipien der Spontaneität, der Kreativität und des Lebendigen also höchst viabel für die Prinzipen der
Selbstorganisation und Selbststeuerung bei Lernprozessen herausgefunden. Eine Moreno`sche Version von lebendigem Lernen und Lehren. Wenn man das heutige Bildungssystem betrachtet, so
können wir riesige Defizite in der Förderung von Kreativität und Spontaneität sowohl in der Schule, Hochschule und beruflicher Bildung feststellen.
Hier liegen große Potentiale im Psychodrama brach und sie werden leider in allen Bereichen der Didaktik kaum zur Kenntnis genommen.
In der Szenischen Didaktik werden alle Methoden des Psychodramas, wie Bühne, Protagonist (Spieler), Psychodrama- Leiter (Lehrer), Mitspieler (Kumpel), die Lerngruppe je nach Kontext und
Zusammenhang miteinbezogen.
Wichtig ist auch, die Erwärmung (nicht Motivation) zur Schaffung einer emotionalen Grundlage für die Unterrichtsarbeit.
Genauso sind die Aktionsphasen, die Integrationsphase und das Sharing bestimmend für Lernerfolge.
Die Techniken der SZD
Aus Platzgründen wollen wir aus den vielen Techniken, wie das Doppeln, das Spiegeln, das Interview, einige soziometrische Techniken nur den Rollentausch herausheben:
Der Rollentausch.
Während die Pädagogik längst den Begriff der Empathie und der Ambiguitätstoleranz aus der Soziologie (Interaktionismus) übernommen hat, konnte sie bis heute aber keine Instrumente des Sich-
Hineinversetzens in den anderen originär entwickeln. Hier setzen Morenos Instrumente des Rollentausch, des Spiegelns, des Doppelns und des Rollenfeedbacks an;
Der Rollentausch in seiner professionellen Ausformung übertrifft nach meiner Erfahrung alle anderen Versuche, die Welt des anderen zu erfahren, zu verstehen und daraus neuen Perspektiven zu
entwickeln. Bei unserer Versuchen, den Rollentausch in allen Stufen der Didaktik (Kindergarten, Schule, Erwachsenenbildung, Organisationsentwicklung usw.) zu erproben, haben wir immer wieder
erfahren, wie nahe der einzelne und die Gruppe mit Hilfe des Rollentausches und seiner Instrumente in die Welt des anderen hinein gelangen und sie verstehen lernen kann.
Wir unterscheiden:
a. Rollentausch im Ich-Bereich: Personaler Rollentausch: (hauptsächlich Biographische Selbstreflektion, Persönlicheitsentwicklung).
b. Rollentausch im Wir Bereich –Sozialer Rollentausch: (Verbesserung der Interaktion und Kommunikationsfährigkeit in allen Variationen).
c. Rollentausch im Sachbereich – Epistemischer Rollentausch: (die Konstruktion von Wissen auf der Subjektiven Ebene der Lernenden und Lehrenden).
a. Rollentausch im Ich-Bereich: Personaler Rollentausch:
(Biographische Selbstreflektion, Persönlicheitsentwicklung).
Rollentausch ist semantisch geknüpft an eine Rolle, also an eine Person. Darum von uns der Name: personaler Rollentausch
Im Lehr und Lernprozess sind vor allem die Bearbeitung von Lernangst, Lernerfolg, Leistungbewertung für den einzelnen Lernenden und der Umgang mit sich selbst durch die SZD besonders fruchtbar.
Genauso können wir bei Lehrenden in der biographischen Selbstreflektion viele blinde Flecke im Lehrverhalten aufdecken und bearbeiten.
b. Rollentausch im Wir Bereich –Sozialer Rollentausch:
(Verbesserung der Interaktion und Kommunikation)
Der Rollentausch im sozialen Bereich, also der soziale Rollentausch, mit allen Facetten der sozialen Interaktion und Kommunikation ,verbunden mit den Möglichkeiten der Soziometrie
(soziales Atom, Tele, Soziodrama, Stegreifspiel), ist eine so erfolgreiche Plattform im didaktischen Raum. Wenn man sich vor Augen hält, wie die vielen psychodramatischen Instrumente zu einer
Bewusstseinsbildung, einer Musterveränderung und z.T. neue Musterbildung durch die Instrumente des Rollentauschs, des Leeren Stuhls, des Inneren Monologs, der Konkretisierung, des Spiegelns, des
Doppelns, des Feedback, des Sharing, des Spontaneitätstests, des Stegreiftheaters usw. führen kann, so muss man nur bedauern, dass sich das Psychodrama in der Pädagogik so wenig durchgesetzt bzw. so
wenig Resonanz erzeugt hat. So wird eine Schaffung eines Klima der gegenseitigen Akzeptanz und Hilde als Übertragung von Verantwortung und Selbstorganisation für Lernprozesse und für eine
positive Lernkultur hergestellt.
c. Rollentausch im Sachbereich – Epistemischer Rollentausch:
(Die Konstruktion von Wissen auf der Subjektiven Ebene des Lernenden).
Das Rolleninterview und das Doppeln sind wichtige Instrumente für die Erarbeitung von Wissenskonstruktionen.
Der Rollentausch im Bereich der Sache war für uns etwas ganz neues: Es war möglich den Protagonisten nicht nur einen personalen, sondern auch einen epistemischen Rollentausch erfolgreich vorzunehmen.
So kam es bei mir zu den Begriff des epistemischen Rollentausch: „Ich bin jetzt das Fahrrad“, “ das Münster“ oder das „Elementrateilchen“ und „ich hänge mit anderen Elementen
zusammen“.
Hier geschieht etwas, was viele moderne Denker beschäftigt, aber im operativen Bereich bisher gescheitert ist: Die Aufhebung der Dualität zwischen Subjekt und Objekt im Handeln.
Ziel ist es nicht, „objektive“ Wahrheiten zu entdecken, sondern das Erkennen individueller Wirklichkeiten im Rahmen interaktionaler Resonanz. Gerade das unterschiedliche Erleben von Handlungen
und von Wirklichkeitskonstruktionen wird als bereichernd für kreative Entwicklung betrachtet.
Im epistemischen Rollentausch ist die in der westlichen Welt übliche Trennung von Objekt und Subjekt plötzlich aufgehoben: die Symbiose oder die Einheit der Welt, des Universums mit sich selbst
wird im Rollentausch wieder hergestellt.
Um einen Protagonisten an die Verknüpfung zu den Dingen herstellen zu können, habe ich mit der von mir benannten Epistemetrie gearbeitet, eine an die Soziometrie
angelehnte Form: die Nähe und Distanz des Subjekts zur jeweiligen Sache, sichtbar zu machen und ihn dann je nach Distanz und Nähe durch Interviews zum eigentlichen Objekt hinzuführen und dann durch
den Rollentausch die Transformation her zu stellen und zugleich Verständnis für die individuellen Wissenskonstruktionen in der Lerngruppe zu verdeutlichen..
Wir haben erfahren, dass diese Aufhebung bei Kindern und Jugendlichen schneller und intensiver als bei Erwachsenen geschieht.
Diese Erfahrung, einen Lernenden in einen Sachbereich zu führen, ihn mit allen Möglichkeiten der Emotionalität, der Verschmelzung und der einheitlichen Existenz zu verbinden, haben wir einigen
Schularten, im Bereich der Erwachsenenbildung, im Bereich der Trainerschulung, der Organisationsentwicklung und im Managementtraining im Bereich der Lehrerfortbildung erprobt und als echte Bereichung
der didaktischen Bühne erfahren.
Beispiele eines epistemischen Rollentausches
Mathematik:
Die Bühne der Textaufgaben:
Häufig scheitern Lernende bei Textaufgaben aller Arten daran, dass sie keine Instrumente der Trennung von inhaltlichen und formalen Referenzen gelernt haben: Was ist der Inhalt und welche
mathematische Operationen benötige ich zur Lösung?
In der Szenischen Didaktik können wir das so lösen:
Der Inhalt, ein Lernender, steigt auf die Bühne, erklärt sein Problem und fragt nun die Mathematik (der Lernende sucht sich seinen Mitspieler aus der Gruppe) welche Instrumente sie denn besitze, die
ihm eine Lösung versprechen. Der Mathematiker offeriert nun die grundlegenden Instrumente der Addition, der Subtraktion, der Multiplikation usw. bekannt. Welche Operation braucht ein Hilfs-Ich?
Was brauchst du davon? Was kannst du von vornherein ausscheiden?
Wie willst du beginnen?
Was sagt der Inhalt dazu?
Was sagen die anderen Denker?
Diese Art, Textaufgaben mit ihren zwei Referenzen hat zu erstaunlichen Ergebnissen auch bei sogen. Schwächeren Schülern und im Vergleich mit Gymnasiasten geführt.
Wenn das Substantiv auf den Thron steigen darf
Thema: Substantiviertes Adjektiv: Nach einem Märchen als Erwärmung(von einem, der ganz unten war und dann auf einen Thron kam) schließt sich die Arbeit auf der Lernplattform an. Die Lernenden gehen
in die Rollen von Wortarten. Das Substantiv darf dabei auf den Thron steigen, denn es wir groß geschrieben. Kommt es jedoch zu einer gemeinsamen Aktion von Artikel und Adjektiv, kann das nun
substantivierte Adjektiv auf den Thron steigen
Das psychodramatische Handeln
Wenn man Handeln als Ergebnis von Entscheidungen eines einzelnen und der Gruppe definiert, so ist in erster Linie das erworbene Repertoire eines Individuums und einer Gruppe zu sehen
(Musterbildungen, „beliefs“. skripts usw.), das allmählich in die Tiefen des Bewusstsein abgleitet Aus diesem Fundus von Erfahrungen entstehen neue Handlungen und Entscheidungen, die aber in den
herkömmlichen Theorien nur die Oberfläche, niemals aber die Tiefenstruktur aufzeigen können. Dazu kann man die Theorie des kulturellen Habitus (Bourdeu), die Kommunikationstheorie (Watzlawick,
Luhmann,), die Transaktionsanalyse mit ihren Perspektiven der Skriptbildung und die Theorie lebender Systeme (Autopoiesis) einen guten neuen theoretischen Untergrund einer Handlungstheorie für
eine Szenische Didaktik liefern.
Im Handlungsbereich haben wir ein riesiges Defizit in der Didaktik zu verzeichnen, weil alle Welt einerseits von Erziehung, Veränderung und objektiven Lernleistungen spricht, aber wir kaum plausible
Handlungstheorie für Lehren und Lernen haben. warum sich so viele junge Menschen in ihrer Struktur nicht ändern (können). An den Stätten der Lehrerausbildung wird nahezu ausschließlich über Kognition
versucht, bei Handlungskompetenz zu erreichen. Dies ist in meinen Augen ein grundlegender Fehler, weil Handeln aus der subjektiven Struktur des einzelnen und der Gruppen entsteht.
Ich habe in meiner Subjektiven Didaktik diese Perspektive aufgenommen und versucht, sie zu bearbeiten. Das Ergebnis ist
Moreno hat in seiner „Handlungstheorie“
Die Szenische Didaktik bezieht ihre Grundaxiome aus der Theorie der Subjektiven Didaktik:
Indem die Subjektive Didaktik den Lehrenden wie den Lernenden ihre eigenen Weltkonstruktionen in einer Postmoderne zugesteht, bejaht sie ausdrücklich eine Haltung der Pluralität und Diversität
hinsichtlich der Bereiche Ich (Persönlichkeitsentwicklung), Wir (Teamentwicklung) und der Sache. Als ein didaktischer Ansatz der die „Subjektivität“ in den Mittelpunkt seiner Theorie stellt, fordert
dieser Ansatz die Fachdidaktiken auf, zukünftig eine Vermittlungsstruktur zu entwerfen, die den Ich-Bereich mit dem Wir- und dem Sach-Bereich stärker zu vernetzen weiß. Dabei sind die
fachdidaktischen Inhalte des Lehrplans neu zu vermessen und bei weitem offener zu formulieren, um die Bedürfnisseite und die Interessen der Lernenden stärker berücksichtigen zu können. Die
Instrumente des Psychodramas wären für alle Fachdidaktiken ein erheblicher geistiger und methodischer Fortschritt.
Die Psychodramatische Forschung
Dieser Bereich ist m.E. das traurigste Kapitel des PD in Deutschland.
Neben wenigen ernsthaften Versuchen (.z.B. Klein, Schneider- Düker, Bleckwedel) sind viele kleine Ansätze verdorrt. Ich selbst gestehe ein, dass die empirische Forschung im Psychodrama mir wenig
Energie gab, um eigene neue und originäre Methoden zu entwickeln, die dem neusten wissenschaftlichen Standard zu entsprechen. Ich war viel zu sehr beschäftigt, die Psychodramatische Handlung in der
Didaktik zu erproben und dort die Stärken und Schwächen des PD im Lehr- und Lernprozess herauszufinden.
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