Modernes Wissen im Unterricht
Modernes Wissen im Unerricht
Wissen in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion (Didaktik
Die Erziehungswissenschaften (Teildisziplinen: Allgemeine Didaktik, Vorschulpädagogik, Schulpädagogik, Erwachsenenbildung, Berufliche Bildung und alle Fachdidaktiken) haben sich von Anfang an um die Begriffe Bildung und auch um die Weitergabe von Wissen gekümmert. Die Allgemeine Didaktik und die Fachdidaktiken haben die Aufgabe eine jeweilige Theorie des Wissens zu entwickeln, sie empirisch zu überprüfen und Vorschläge für ein didaktisches Konzept mit einer höheren Wahrscheinlichkeit des Wissenserwerbs bei den einzelnen Lernenden zu erarbeiten.
Die theoretischen Grundlagen waren bisher die Lehrplantheorie, die Bildungstheorie und die Curriculumtheorie, neuerdings auch die Forderung nach einer modernen didaktischen Epistemologie in einer globalisierten Wissensgesellschaft
Der Begriff Wissensgesellschaft in den Erziehungswissenschaften
Der Begriff „Wissensgesellschaft“ taucht bereits Mitte der 60er Jahre in der Debatte um die Strukturen der postindustriellen Gesellschaft auf, der Gesellschaft also, die die Industriegesellschaft ablöst: Robert E. Lane spricht von der „knowledgeable society“, auch Peter Drucker beschreibt damals schon die zentrale Funktion von Wissen für die Gesellschaft als Grundlage für ökonomisches und soziales Handeln.78[1] Beide stießen aber auf keine größere Resonanz. Daniel Bell argumentierte ähnlich, als er die nachindustrielle Gesellschaft auch als Wissensgesellschaft beschrieb.79[2] Der Begriff der Wissensgesellschaft ist älter als der oft synonym benutzte Begriff der „Informationsgesellschaft“, der erst mit der massenhaften Verbreitung neuer Informationstechnologien aufkam. Neuerdings wendet sich die Aufmerksamkeit wieder verstärkt dem Wissen und seiner Funktion in der modernen Gesellschaft zu. An erster Stelle zu nennen ist hier die Arbeit von Nico Stehr 80(1994), der sich sehr ausführlich mit der Theorie von Wissensgesellschaften (knowledge society) befasst und Wissen als neuen Produktionsfaktor neben die „klassischen“ Produktionsfaktoren Arbeit und Eigentum / Kapital stellt.[3]
Die Unterscheidung von Information und Wissen
Die wichtigste Unterscheidung liegt darin, dass Wissen mehr ist als Information. Informationen sind genauso wie Erfahrungen und das Wissen um eine Wissensarchitektur Bausteine, die erst durch persönliche Auswahl, Beurteilung und Reflexion zu je persönlichem Wissen verarbeitet werden. Was man „im Kopf hat“, ist stets eine individuelle Mischung aus explizit formulierbarem und implizitem Wissen. Es bleibt aber personengebunden und ungeachtet des expansiven Wissenswachstums - auf die Kapazität des eigenen Kopfes begrenzt. In diesem ganzheitlichen Verständnis lässt sich Wissen als die Ressource und Basis sozialen Handelns bezeichnen und bildet damit eine Grundvoraussetzung menschlichen Zusammenlebens und des wirtschaftlichen Erfolgs in mitten eines globalen Konkurrenzkampfes. Das gesamte individuell vorhandene Wissen wird auch als kulturelles Kapital einer Gesellschaft bezeichnet. Als solches wird es im internationalen Wettbewerb immer wichtiger. Zum Tragen kommt es aber stets nur durch das individuelle Denken und Handeln jedes Einzelnen.
Wissen in einer globalisierten Welt
Auch für die internationale Politik ist die Entwicklung zur Wissensgesellschaft zu einem Thema geworden, wenngleich mit unterschiedlichen Akzenten: So sieht die EU-Kommission den Weg in die kognitive Gesellschaft eingeschlagen, in der „die Stellung des einzelnen innerhalb der gesellschaftlichen Beziehungen ... zunehmend von angeeignetem Wissen bestimmt“ ist.
In ähnlicher Weise rückt der UNESCO-Bericht zur Bildung für das 21. Jahrhundert 81[4] die Rolle der Bildung für die globale Zukunft in den Blick. Unter dem programmatischen Titel „Lernfähigkeit: Unser verborgener Reichtum“ wird nicht nur auf die Bedeutung von Bildung und lebenslangem Lernen in einer globalisierten Welt hingewiesen. Deutlich wird auch der enge Zusammenhang zwischen Bildung und Wissen einerseits und dem politischen System, der Wirtschaft und der Gesellschaftsform andererseits. EU und UNESCO weisen mit diesen Beiträgen zugleich auf die Notwendigkeit einer starken internationalen Zusammenarbeit in Bildungsfragen hin und machen damit deutlich, dass die Wissensgesellschaft neben nationalen auch zunehmend von internationalen und multikulturellen Bezügen geprägt wird.
Die skizzierten Vorstellungen zur Wissensgesellschaft lassen sich in folgenden wesentlichen Aspekten zusammenfassen:
- Wissen ist die prägende Kraft für moderne Gesellschaften. Dies zeigt sich in allen gesellschaftlichen Bereichen.
- In der Wirtschaft ist Wissen zum wesentlichen Produktionsfaktor geworden. Das Know-how entscheidet vor allem über den wirtschaftlichen Erfolg.
- Für den einzelnen Menschen wird sein Wissen zur Basis für die gesellschaftliche Position und gibt ihm neue Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten. Der Mensch ist Mittelpunkt der Wissensgesellschaft und prägt sie als Akteur.
- Bildung erhält deshalb wachsende Bedeutung. Notwendig ist die Vermittlung von breitem und flexiblem Wissen für möglichst alle.
Die Wissensgesellschaft ist eine internationale und multikulturelle Gesellschaft. Vor dem Hintergrund der Globalisierung ist auch das Wissen nicht national zu begrenzen. Zugleich wird das Bildungsniveau zu einem Wettbewerbsfaktor zwischen den Staaten. Die Wirtschaft der Wissensgesellschaft soll durch Wissen als zentrale Produktivkraft gekennzeichnet sein. Wissen reduziert den Arbeitsaufwand zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen, Arbeit in ihrer traditionellen Form, vor allem die körperliche Arbeit, verliert dadurch an Stellenwert. Die Struktur der Tätigkeiten wandelt sich zugunsten von Forschung und Entwicklung, Bildung und Kommunikation. Die intelligente Nutzung von Wissen als Produktionsmittel und als Produkt ist mit dem wichtigsten Wettbewerbsfaktor. Für den einzelnen Menschen sollen in der Wissensgesellschaft die Lebenschancen und Einflussmöglichkeiten primär vom Wissen und der Fähigkeit abhängen, dieses zu nutzen. Heute freilich ist der Besitz eines Arbeitsplatzes entscheidend für die soziale Position und die Lebenschancen. Profundes Wissen garantiert aber noch längst keinen Arbeitsplatz, das Wissenspotential der Arbeitslosen bleibt weitgehend ungenutzt.
Die politische Dimension von Wissen.
Heute wird Wissen oft zur Durchsetzung von Partialinteressen oder zur Blockade von Entscheidungen eingesetzt. Oft lässt sich beobachten, dass die gleichen Einzelfakten und das gleiche Wissen in völlig konträre Argumentationen eingebaut werden und die Basis für ganz unterschiedliche „Wahrheiten“ bilden. Beispiele dafür bietet vor allem die Politik, schon fast klassisch etwa im Streit um das Für und Wider der Kernenergie. Es lassen sich Fragen, die starke Interessen berühren, oft auch durch eine Vielzahl von Argumenten und Gutachten nicht lösen.
Das gesamte Wissen wird trotz medialer Verfügbarkeit in der politischen Diskussion oft nur selektiv und vereinfacht zur Kenntnis genommen. Der eigentlich sinnvolle Streit gegensätzlicher Argumente führt häufig nicht zu geeigneten Lösungen. Politische Entscheidungen scheinen oft beeinflusst von Stimmungen, Zufälligkeiten und herrschenden, nicht immer differenzierten Meinungen und Wählerinteressen.
Didaktik: Die Weitergabe von Wissen
An der Weitergabe zeigt sich der entscheidende Zusammenhang und Unterschied zwischen Wissen, Information und Daten:83 [5]
Für den Empfänger ist weitergegebenes Wissen zunächst nur eine Information. Es wird erst durch persönliche Aneignung und Verarbeitung zu eigenem Wissen. Informationen (z.B. bestimmte Daten oder Fakten) sind die Bausteine von Wissen, aber noch nicht das Wissen selbst. Informationen sind nicht personengebunden und mit Hilfe moderner Technik leicht und in großer Zahl zu verbreiten. Wissen ist hingegen personengebunden und abhängig von der individuellen Aufnahme- und Verarbeitungskapazität des Einzelnen. Wir wissen mehr als wir sagen oder schreiben können. Einiges von dem, was wir „im Kopf haben“, lässt sich nicht in Worte fassen. Man spricht vom impliziten Wissen (tacit knowledge). Es besteht vor allem aus persönlichen Erfahrungswerten, Intuitionen oder Erinnerungen, die nicht einfach weitergegeben werden können, aber mehr oder weniger diffus in das Denken und Handeln jedes Einzelnen einfließen. Wissen entsteht also nicht allein durch die Aufnahme von Informationen oder experimentellen Erfahrungen, sondern primär im Wege der Verarbeitung und Ordnung dieser Eindrücke durch jeden Einzelnen selbst. Zur Herausbildung des persönlichen Wissens gehören neben Bausteinen wie Fakten, Informationen und Ideen, Wissenskonzepte, Wissensarten, Wissenslogiken, Wissenskontexte vor allem auch individuelle Eigenleistungen wie Bewertung, Gewichtung und Interpretation. Dazu sind die Ergebnisse aus der Hirnforschung bedeutsam (Roth).Wissen fließt in die Bildung von Meinungen ein, die aber auch von anderen Einflüssen, insbesondere von Interessen geprägt sind.
Der“ lag“ des Bildungssystems
Das deutsche Bildungssystem hat diesen Wandel nur marginal bis jetzt mit vollzogen. Es steht staunend daneben, wie Wissen plötzlich von anderen Institutionen, gesellschaftlichen Gruppen und unternehmerischen Bereichen unter ihre „Fittiche“ genommen, umgebaut und mit neuen Mythen der Machbarkeit und Bedeutung versehen wird (z.B. der gesamte e-learning Markt). Die Zukunftsversprechen an die junge lernende Generation, mit schulischem Wissen wäre die Grundlage für eine sichere berufliche Zukunft und Zufriedenheit gewährleistet, ist brüchig und für viele junge Menschen absurd geworden.
Die didaktische Bedeutung von Wissen
Innerhalb kurzer Zeit ist ein Wandel von didaktischen Schlagwörtern wie Curriculum, Lernziele, Leistungsmessung hin zu Begriffen wie Schlüsselqualifikation, lernende Organisation, Fremd- und Selbstevaluation, Basiskompetenzen, wissensbasierte Kompetenzen und Wissensgesellschaft zu beobachten. Von einer gediegenen Theorie des Wissens sind solche Formulierungen weit entfernt; sie weisen weder Kriterien der Auswahl, Kontingenzbereiche, Prioritäten, Alternativen, Negationen und Ausschlüsse aus, noch berücksichtigen sie die tatsächlichen Bewusstseins- und Verhaltensstrukturen postmoderner Lernenden (Chreoden) und Lehrender in ihren hochkomplexen Skripts und Lebenstheorien.84 ( Kösel 2007)
Die Lehrplantheorie
Die von Otto Willmann und Erich Weniger begründete Position über die Auswahl und Konzentrierung von Bildungsinhalten hatte die Grundlage des Lehrplans als einen abgestuften Kosmos, in dem wertvolle Kulturgüter versammelt sind (Willmann) und im erziehenden Unterricht und in der Zuweisung von Inhalten durch den Staat (Weniger). Eine besondere Variante ist die von Klafki entworfene Bildungstheorie, als Theorie der Bildungsinhalte. In allen diesen Ansätzen werden zwar allgemeine Leitdifferenzen über Bildung formuliert, die Komplexität von Wissen wird dadurch zu reduzieren versucht, indem die Begriffe des Exemplarischen, Fundamentalen, Klassischen und Ästhetischen konstruiert werden. Die Instrumente einer Wissensarchitektur sind nicht bekannt und dadurch werden sie auch nicht bearbeitet.
Die Curriculumtheorie
Die von Robinsohn 1969 vorgelegte Konzeption einer Lehrplan- und Curriculumforschung in seinem bekannt gewordenen Buch „Bildungsreform als Revision des Curriculum“ ist nach einer kurzen euphorischen Phase[6] leider in weiten Bereichen der Lehrplanentwicklung und epistemologischen Forschung wieder in Vergessenheit geraten. Der Begriff des Curriculums aber ist populär geworden und taucht bei allen möglichen Aspekten auf, ohne dass eine deutliche Unterscheidung getroffen wird, was der Begriff bedeuten soll. 84 [7]
Didaktische Epistemologie
In der sich anbahnenden Wissensgesellschaft im 21. Jahrhundert ist dem Begriff Wissen nicht mehr mit dem herkömmlichen ontologischen Wahrheitsanspruch zu begegnen. Wissen wird heute und morgen als Unterscheidung in vielerlei Hinsichten und Bezugssystemen gesehen Jedes Thema oder Problem kann heute unter sehr verschiedenen und andersartigen Referenzen konstruiert werden und jede dieser Konstruktionen hat ihren je eigenen Sinn. Es gibt keine Einheitskonstruktion mehr, die allen Hinsichten gerecht werden kann und moralisch linear zu bewerten ist. Wissen basiert in erster Linie auf Begriffen und Anwendungsfeldern. In einer zukünftigen Wissensgesellschaft ist nicht mehr gesellschaftlich relevant, ob junge Menschen schulisches Wissen als ontologisches Wissen reproduzieren und deklarieren können, sondern sie müssen in neuen Kontexten Wissen herstellen und die dahinter liegende Architektur identifizieren können. Die Schule sollte nicht nur reproduktives Wissen als Bildungsprodukt anbieten, sondern muss dazu kommen neue Bildungsprodukte wie Rekonstruktion, Neukonstruktion, Dekonstruktion von Wissen und Musteraufbau und Mustererkennung für gegenwärtige und evtl. zukünftige Anwendungsfelder, Kontexte und Situationen zu ermöglichen. In der Wissenskonstruktion brauchen wir in einer solchen Situation einen soliden didaktischen Relativismus, der davon ausgeht, daß Lehrende und Lernende einander ihre Bezugsysteme und die dahinter liegende Architektur (Referenzbereiche, Relationen, Dimensionen, Logiken etc.) offen legen müssen (Kösel 2007).
Die Komplexität der Umwelt ist abhängig von der Beobachtung eines Systems. Die Umwelt ist immer komplexer als das beobachtende System, weil das System Selektionen und Reduktionen vornehmen muss. Diese Beschränkung muss einerseits akzeptiert werden, gleichzeitig erlaubt aber die Umwelt mit ihrer Komplexität andere Selektionen, Relationen und Konstruktionen (siehe Bildungsprodukt: Negationen), die eben im Bildungsgeschäft und Bildungstauschmarkt nicht aktualisiert
werden können. Dieser Rest bleibt als Bereich möglicher Verweisungen zunächst im Hintergrund.
Unsere Gesellschaft und damit der gesamte Bereich der Wissensvermittlung und Wissensgenerierung sind auf eine differenzierte Wissensgesellschaft in bezug auf eine wissenschaftliche Epistemologie kaum vorbereitet. Es bedürfte einer neuen Disziplin, nämlich einer didaktischen Epistemologie, die die Auswahl, Negation, Ausschluss, Entstehung, Konstruktion und Vermittlung von Wissen untersucht.
Zu ihr gehören die folgende Teildisziplinen
- Wissensidentifikation
- Wissenslegitimation
- Wissensarchitektur
- Wissensdistribution
- Wissensökonomie
- Wissensvermittlung (Didaktik)
Wissensidentifikation
Diese Teildisziplin hat die Aufgabe, den historischen, gegenwärtigen und zukünftigen Wissensbedarf zu identifizieren, die Negationen und Ausschlüsse zu beschreiben und deren Zuordnung in die Bereiche des Wissens vorzunehmen.
Wissenslegitimation
Diese Teildisziplin untersucht die historischen Zuordnungen von Wissen in die einzelnen Berufsbereiche und deren Relevanz für die Gegenwart und Zukunft. Welche rechtlichen Sanktionen sind vorgenommen worden und welche sind für die Zukunft überflüssig bzw. hinderlich?
Wissensarchitektur
Diese Teildisziplin beschreibt und untersucht die Oberflächen- und Tiefenstruktur des Wissens, deren globalen, kulturellen, symbolischen und semiotischen Formen und Arten. Sie untersucht auch die Fachdidaktiken in ihrer Verwendung von Wissensarchitekturen. Zu einer Wissensarchitektur gehören die Kenntnis von Wissensarten, Wissenskontexten, Wissenslogiken und Wissenskonzepten in den jeweiligen Fächern und Disziplinen.
Wissensdistribution
Diese Teildisziplin befasst sich mit den Fragen: Wer verteilt welches Wissens an wen? Wie ist welches Wissen verteilt? Welche Wissensterritorien und Wissensprivilegien und die damit verbundenen Lebensstile gibt es?
Wissensökonomie
Diese Teildisziplin befasst sich mit den Fragen: Wer wird für welches Wissen bezahlt? Wer erhält Prestige, Ansehen und Status durch welches Wissen? Welche Formen der Bezahlung von Wissen sind überholt, welche müssten an ihre Stelle treten?
Wissensvermittlung (Didaktik)
Sie befasst sich mit der Frage, wie kann man welches Wissen an Lernende optimal weitergeben und vermitteln ?
Grundlage für eine moderne didaktische Konzeption sollten die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung, der Theorie lebender Systeme, der Ansatz des Konstruktivismus in Fragen, was Wissen heute sein soll sein. Dazu kommen die Erkenntnisse aus den Gesellschaftstheorien, wie gesellschaftliches Bewusstsein bis tief in die Bereiche der organisierten Wissensvermittlung hin wirkt und schließlich diese Organisationen, in wieweit sie die Entwicklung des einzelnen Lernenden(Chreoden) durch Verfahren, Etikettierungen, Selektion und Typisierungen behindert oder fördert. Die sozialen Strukturen der Wissensgesellschaft als einer Gesellschaft wissender und handlungskompetenter Individuen sind heterogen und unübersichtlich. Heute jedoch verstärkt das Wissenswachstum die soziale Kluft zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitslosen (Fahrstuhleffekt nach Beck). Zu befürchten ist, dass dies eher in eine neue soziale Ungleichheit zwischen Wissenden und Nichtwissenden übergeht. Der Zugang zu Bildung und Wissen hängt heute immer noch stark von der sozialen Herkunft ab.86 (Uhlig, J., Solga, H. Schupp, J.(2009): Ungleiche Bildungschancen. Welche Rolle spielen Underachievement und Persönlichkeitsstruktur. WZB. Berlin
In einer neuen Ordnung für ein neues kulturelles Gedächtnis im Vermittlungsprozess sollen nach Kösel, gleichrangig Inhalte und die Elemente einer Wissensarchitektur in Zukunft für eine neue Standortbestimmung gelten: Lernende sollen neben den Inhalten (die häufig wieder kurzfristig oder mittelfristig vergessen werden) auch das Training der Anwendung von Elementen einer Wissensarchitektur gelernt werden. Diese Bausteine dazu sind hauptsächlich Wissenskonzepte, Wissensarten, Wissenslogiken, Wissensfelder, Wissenskontexte.
In der Didaktik wurden bisher die Inhalte in reproduktiver Weise bearbeitet. Der Staat stellt das zu vermittelnde Wissensuniversum zur Verfügung. Dabei wird in der gegenwärtigen Gesellschaft höchst selten überprüft, ob dieses Wissensuniversum überhaupt noch der modernen Situation (Globalisierung, virtuelles Wissen) entspricht und für die junge Generation überlebensrelevant ist. Viele Lernende sehen in ihren Lebensskripts (Chreoden)kaum einen Sinn, das von den Lehrern verlangte Wissen reproduktiv sich anzueignen und im Unterricht sinnlos zu reproduzieren, um nur eine gute oft aber als ungerechte Note zu erhalten.
In Deutschland gibt es weder eine unabhängige Evaluationsstelle über die Wissensbereiche und Wissensstrukturen, noch eine wissenschaftliche Disziplin (didaktische Epistemologie), die die gegenwärtige Wissenslandschaft auf ihre Tauglichkeit untersucht, Alternativen entwickelt, eine Theorie des kulturellen Gedächtnisses für die Zukunft entwirft, die Bereiche Wissens-Distribution, die Wissenskonstruktionen mit den jeweiligen Wissensarchitekturen, die Verlässlichkeit von Wissen, eine neue Wissenslegitimation, Wissensevolution und Wissensökonomie bearbeitet.87 (Kösel 2007).
Es werden nach wie vor von einer nahezu anonymen Gruppe Wissenslandschaften zur Verfügung gestellt, die selbstreferentiell auf das schulische/universitäre System geeicht sind. Wissenskontexte, Wissensfelder und Wissenslogiken in je verschiedenen alltäglichen, gesellschaftlichen und beruflichen Dimensionen werden vielfach für didaktische Vermittlung ausgeklammert. Lehrende und Lernende sind dieser totalitären Logik unterworfen. Ihr Freiraum zur eigenen und selbst verantworteten Navigation zum Wissenserwerb ist massiv eingeschränkt. Es gelten die Normen des Bildungstauschmarktes.
Literatur
Wissen in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion (Didaktik):
Bell, D. (1975): Die nachindustrielle Gesellschaft, Frankfurt/Main
Drucker, P. (1968): The Age of Discontinuity. Guidelines to our Changing Society, New York: Harper & Row
Frey, K. (Hrsg.) (1978): Curriculum Handbuch, 3 Bände, München/Zürich; Hameyer, U. (Hrsg.) (1983): Universität Mainz. Handbuch der Curriculumforschung; Otto, G., Schulz, W. (1986): Der Beitrag der Curriculumforschung, Stuttgart
Kösel, E. (2007): Die Modellierung von Lernwelten. Band II: Die Konstruktion von Wissen. Eine didaktische Epistemologie. Bahlingen.
Kron, F. 2004: Grundwissen Didaktik.4. Aufl. München/Basel
Royl, W. (1999): Wissensmanagement und Expertise. Über die Wiedergewinnung des Allgemeinen in der Didaktik, in: Zeitschrift Die deutsche Schule, 5.Beiheft, Neue Wege in der Didaktik? Analysen und Konzepte zur Entwicklung des Lehrens und Lernens, 1999, S. 83-101
Sellin, B. (2002): Bildung in Europa. Zur Entwicklung von Bildungs- und Berufsbildungsprogrammen der EG bzw. EU von 1974 bis 1999, in: Tippelt (2002): S. 201-216
Tippelt, R.(2002):Handbuch Bildungsforschung. Opladen
Stehr, N. (2000): Die Zerbrechlichkeit moderner Gesellschaften, Weilerswist
Uhlig, J., Solga, H. Schupp, J.(2009): Ungleiche Bildungschancen. Welche Rolle spielen Underachievement und Persönlichkeitsstruktur. WZB. Berlin