Didaktisches Handeln
Das Doppelgesicht des Handelns und der Erfahrung
Wir haben bereits im Zusammenhang mit didaktischer Reflexion und didaktischen Handeln grundlegende Unterschiede festgestellt (Band I.S.244ff.). Es geht jetzt darum, didaktisches Handeln unter
allgemeinen Gesichtspunkten erneut einzuordnen: Der Begriff Praxis taugt dazu wenig. Er ist zu verschwommen, er verdeckt viele unmarkierte Räume und ist aufgeladen mit einer Emotionalität aus der
Vergangenheit und ist als alltagsprachliches Zeichen viel zu ambivalent.
Wir haben festgestellt, dass Alltagshandeln in erster Linie Routinehandeln ist. Dies setzt sich aus einer Reihe von Teildimensionen zusammen, die wir jetzt genauer benennen können:
1. Alltag ist Routinehandeln:
Alltagshandeln geschieht in der Zeit und in der Wiederholung,
Das Alltägliche ist das Repetitive ( die regelmäßige Wiederkehr des Gleichen), Alltag ist das Gegenwärtige (im Hier und Jetzt wird das Reale erfahren, Gleichförmigkeit der Zeitpunkte, meist lineare
Abfolge alltäglicher Ereignisse usw.),das Gewohnte(siehe Gewohnheiten und Muster), Gewöhnliche (ohne Reflexion, es ist so wie es ist, das Normale, gegen das man nicht verstößt) und das Gegebene (so
ist die Welt, das triviale, auch das wertlose).
Alltag verliert seine Alltäglichkeit, wenn man dagegen verstößt, ihn zum Problem macht oder gar ihn theoretisiert. Im Alltag unterscheidet man auch sehr schnell oder dauernd, welche der Lebenswelten,
in der man ständig wechselt, die größte Nähe oder Entfernung hat. Ist sie weit entfernt, hat sie nur noch Symbol- oder Fassadencharakter.
2. Alltag ist Erfahrung und Verfestigung von Mustern
Erfahrung ist immer an die Sinne und an den Körper gebunden. Erfahrung kann man nur in Situationen im Hier und Jetzt machen. Erfahrung ist das Ergebnis eines im Hier und jetzt gewordenen
Entscheidungsprozesses, der seinen Sinn im hier und jetzt und in einem bestimmten Kontext erhält. Es werden Ereignisse produziert, die zeitpunktbezogen entstehen und dann sofort wieder zerfallen.
Erfahrung kann nur durch Anwesenheit erfolgen. Wissen entsteht in diesem Kontext: Erfahrungswissen hat nur derjenige, der in Anwesenheit seines Körpers (als Körpergedächtnis) an einem Ereignis
teilgenommen und ihn mit Risiko, eigenem Handeln und eigenem Einsatz von Energie überstanden hat. Vieles läuft dabei vorbewußt, unbewusst, nicht berichtbar ab. Es ist deshalb auch so schwer, von
Erfahrungen zu reden, die nicht berichtbar, d. h. nicht kommunizierbar sind, weil die entsprechenden Berichtskategorien fehlen.(siehe auch Arbeitsgedächtnis). Diese Dimension hat sehr viel mit
ökonomischer und evolutionärer Sparsamkeit zu tun: im Strom des Alltags ist es nicht sinnvoll, die Komplexität des Erlebens im Hier und jetzt zusätzlich durch Kategorien der Kommunikation zu
belasten. Es ist auch so, dass man zwar sich selbst in der gemachten Erfahrung ganzheitlich erlebt ( genussvoll, ängstlich, erfolgreich, usw.),aber die eigene Tiefenstruktur bleibt im Nicht-
Berichtbaren (siehe auch Dimensionen in der Flow- Theorie .Band I S.S369). Sobald aber später ähnliche Situationen auftauchen, meldet sich das Körper- und Arbeitsgedächtnis und stellt die damals
gemachten Erfahrungen als Handlungsmuster ohne Bewusstsein wieder zur Verfügung. Nichtgemachte Erfahrungen- vor allem jene aus dem Primärhabitus- sind zugleich auch nichtmitteilbare, unmarkierte
Räume. Erwartungen des anderen können nicht erwidert werden, wenn keine Musterbildungen durch Erfahrung z.B. in der plastischen Phase der Entwicklung möglich waren.
Didaktisches Handeln:
Für viele Lernenden ist es oft ein absurdes Theater, wenn Lehrende immer wieder von ihren Erfahrungen berichten, die sie selbst in einem für die Lernenden nicht mehr existentiell
nachvollziehbaren Kontext gemacht haben. Lehrende, die daraufhin von ihren Erfahrungen ablassen zu erzählen, sind nach unseren Beobachtungen bei Lernenden hoch angesehen; erst dann wird die gemachte
Erfahrung glaubwürdig, wenn sie nicht ständig kommunikativ produziert wird.
Wir haben didaktisch zwei Richtungen zu beachten:
1. gemachte Erfahrung ist zwar durch Sprache mitteilbar, sie gelangt aber nur äußerst selten in den existentiellen Raum von Lernenden, die die Erfahrungskontexte des Mitteilenden als Muster nicht
kennen oder ablehnen. Didaktische Erfahrungen sind dann wertvoll, wenn sie im Existenzraum der Lernenden mit Risiko, Entscheidung, und Durchhaltevermögen geschehen. Erfahrungen sind dann im Sinne von
Musterbildung, Mustervariation und Mustererkennung hochrelevant. Als eine der wenigen Strategien der Erfahrungsbildung ist mir die Erlebnispädagogik in ihrer didaktischen Ausrichtung, die szenische
Didaktik und die Alltagsprojekte mit Ernstcharakter und einer „Endauszahlung“ bekannt. Unterrichtsgänge oder Besichtigungen gehören sicherlich nicht dazu.
2. Erfahrungen sind als Inkorporierung des Trägers zu sehen. Sie sind die Stabilisatoren inmitten von Komplexität der Umwelt. Auch bei Lehrenden sind Erfahrungen Muster der Stabilität und
Inkorporierung. Sie beharren auf Wiederholbarkeit und subjektiver Wahrheitsanspruch. Erfahrungen gerinnen häufig zu unveränderlichen Mustern. Sie werden als Gewohnheit im Alltag ständig verwendet und
so das Überleben gesichert. Sie sind aber zugleich die Verhinderer von reflexiver Vernunft, d.h. sie verhindern Alternativität.
Die Erfahrungsmitteilung des Erfahrenen wird als Vermittlungsprozesse an andere wie z.B. Lernenden häufig als Präskription mitgeteilt: „Mach es so wie ich, dann wirst du gut durchs Leben kommen!“.
Dieser Appellcharakter, manchmal sogar als zwanghaft als Übernahmeimperativ der Erfahrung an andere ist aber hochgradig riskant und zwar durch Ablehnung der Mitteilung oder Ablehnung des
Bedeutungsträgers.
Der Empfänger von Erfahrungs-Mitteilungen hat entweder resonante Muster oder nicht. Hat er ähnliche Erfahrungen, so entsteht eine gegenseitige Resonanz der Dramaturgie, der Topologie und der
Erfahrungssicherung. Jetzt kann man stundenlang über den Verlauf, die Ausgangslage, die Risiken, die und schließlich den Ausgang der Handlungen als Vergangenes in der Gegenwart berichten. Es
entstehen so Gemeinsamkeiten, die ein gegenseitiges Verstehen ermöglichen und im besten Sinne eine strukturelle Koppelung ermöglichen..
Hat jedoch der Empfänger keine ähnliche Muster zur Verfügung, so befindet er sich in einer völlig anderen sozial- autopoietischen Lage: Er kann nur aus seiner eigenen rekursiven Verrechnung
verrechnen: hat er keine gleichen oder ähnliche Muster der Erfahrung aus seiner bisherigen Lebensgeschichte zur Verfügung, lässt keine andere Versionen mehr zu. So hat Erfahrung eine doppeltes
Gesicht, einerseits stabilisiert sie, wächst zur Gewohnheit aus, die keinerlei Reflexion bedarf (es war so, wie es war) und andererseits sieht der Träger der Erfahrung keinen Anlass ,neue Erfahrungen
an die Stelle der alten zu setzen. So entstehen im Laufe der Zeit viele blinde Flecke, die der radikale Konstruktivismus (vor allem H. v. Foerster) so eindrucksvoll beschrieben hat.
Didaktisch gesehen birgt diese doppelte Kontingenz verschiedene Potentialitäten: Erfahrung als Stabilisator und Gewohnheitsbildung,(vor allem bei der Entwicklung von Lerngemeinschaften und
Lernkulturen) Erfahrung als gemeinsames Erzähl- und Lernmilieu, andererseits aber verhindert Erfahrung (vor allem intensive Erfahrung) neue Versuche, neue Rahmenbesetzungen bzw.
Kontextierungen.
3. Alltagshandeln ist Alltagssprache und Alltagskommunikation
Alltagshandeln wird immer auch durch die in den Sinnfeldern produzierte Alltagssprache mit deren Witze, volkssemiotische Vorstellungen und Begriffsbildungen, vor allem in Metaphern und in
Kommunikationsformen des Transportierens von (Speisen, Ideen, Orale Bereich usw.)und frühere handwerkliche Tätigkeiten (bauen, spinnen, prägen, usw.).bestimmt. In neuester Zeit werden auch
Alltagsartefakte wie Computer als Wesen mit eigener Sprache dialogisiert: man kann Befehle geben, Antworten erwarten, loben oder tadeln.
Alltagssprache ist auch die Sprache der Nähe: die uns verbindet. Es werden deshalb auch viele ikonische Zeichen (kurz, prägnant und mehrdeutig) verwendet. Theoriesprache ist die Sprache der Distanz,
der Differenzierung und des Komplizierten; darum passt sie auch so wenig in den beruflichen Alltag.
4. Alltagshandeln ist Ritualisierung des Alltags:
Interaktionsrituale sind die Klammer für den Alltag. So sind die alltäglichen Interaktionsrituale durch Konventionen bestimmt: Regeln für Begrüßen, und Verabschiedung, für Bitten, für
Rücksichtnahme, Gesprächseröffnung, Normen der Direktheit und Indirektheit usw. Der Grad der Befolgung ist abhängig von der Rigidität der Auslegung (Kontingenz) und von den internalisierten
Mustern der Mitglieder des Systems.
Die Automatisierung dieser Rituale ist dann das feste Korsett einer Person oder eines sozialen Systems, indem dann das Repetitive und das Gewohnte gesichert ist, über das man dann nicht immer wieder
reden und in Erinnerung rufen muß.
5. Alltagshandeln ist in der postmodernen Gesellschaft das Wahrnehmen und Annehmen von kurzfristigen sprachlichen und epistemologischen Reproduktionszyklen.
Durch die Dynamik und Automatisierung unserer Gesellschaft (siehe Gesellschaftstheorien) beschleunigt sich auch die sprachliche Veränderung durch die Kurzlebigkeit der Objekte. Die Lebensdauer
und damit die Bezeichnungen früherer Objekte sind im Vergleich zu den heutigen kaum mehr vorstellbar. Begriffe haben Generationen überdauert, heute überdauern sie oft nur ein paar Jahre. In immer
kürzeren Produktionszyklen von Produkten und Nachrichten wird die Neuheit oder Sensation zum Grundgefühl des Alltags. Ohne sie fehlt plötzlich etwas, sei es in den Ferien, im Urlaub oder in einer
stillen Stunde im Wald. Die in der Produktion der Zeichen und Neuigkeiten angelegte Kurzlebigkeit wird ein Attraktor für das Alltagsleben. Es werden auch neue Bedeutungen mit alten Begriffen
aufgeladen (siehe z.B. Ganztagsschule) oder neuen Begriffen alten Bedeutungen zugeschrieben ( Resemantisierung, Desemantisierung). Die Unterschiede zwischen Alltäglichkeit und Nichtalltäglichkeit
werden vermischt. Was ist noch nichtalltäglich, etwas besonderes, etwas was man nicht jeden Tag haben kann?
6. Alltagshandeln ist Orientierung im ständiger Zerfall von Referentiellem
Bezugnahme auf etwas war früher selbstverständlich, weil viele Konventionen Rituale und sprachliche Muster konstant waren. Man konnte sich auf etwas beziehen, ohne dass man es bezeichnen musste. Es
bestanden solide Referenzen im sprachlichen, sozialen, moralischen, zeitlichen, naturhaftem und individueller Hinsicht. Es war ein Charakter des Realen, des gesunden Menschenverstandes. Dieser
Charakter des Realen hat sich verschoben zugunsten einer funktionellen und technischen Welt, die viele selbstreferentiellen Bereiche aufgelöst hat. Jetzt gilt die Referenz kurzfristig und sozial
spezifisch. Wer heute bestimmte neue Begriffe nicht kennt, fühlt sich im Alltag verloren. Er hat seine früheren Referenzen verloren. Dieser Zerfall des Referentiellen begleitet jeden
Menschen heute in seinem Alltag. Auch der Zerfall des Referentiellen hat im Schulbereich bei den Chreodenstrukturen der Lernenden und bei den Lehrenden hat längst begonnen.(siehe Chreoden der
Temporalität, die Logik der Unterschiedsverwischung usw.) So beim Wechsel von Bezugsrahmen im sozialen, epistemologischen und individuellen Verhalten in und um die Schule.
Ein auffälliges Beispiel des sozialen und moralischen Zerfalls von früheren soliden Referenzen war die ehemalige Kultusministerin von Bayern. Obwohl sie die Referenz staatlich (an oberste
Stelle des Schulsystems) christlich (nach außen im Bezug auf CSU) verkörpert, ist diese Referenz in Bezug auf den Schulbesuch ihrer eigenen Kindern zerfallen: Sie schickt ihre Kindern nicht in eine
Staatsschule (die sie an oberster Stelle nach außen verkörpert), sondern in die Walddorfschule ( die einen anderen religiösen und damit didaktischen Bezugsrahmen, also eine grundlegende andere
Referenz aufweist).Man spricht zwar darüber, aber es ist so. Früher wäre dieser Wechsel von Kurzfristigkeit und Pragmatismus als „skrupellose Verleugnung“ der Zugehörigkeit gebrandmarkt worden.
Was werden sich wohl solche Lehrende denken müssen, wenn sie nach wie vor an alten Referenzen festhalten und gleichzeitig beobachten, wie ihre „oberste Dienstherrin“ diese Referenzen im eigenen
privaten Handeln ignoriert und übergeht?
Der Zeichenwandel und rasche Wechsel von einer Position in die andere hat Salabert (1992) als „Ritus des Neuen in seiner unmöglichen Permanenz“ beschrieben. Immer kürzere Referenzen in raschen
Wechsel illustrieren unsere Alltagswelten. Die Verwischung von Konturen schreitet weiter voran.
Umso grotesker bleibt im immateriellen Bereich der Lehrpläne die alte Referenz von Gott und unveräußerlichen Werten und alten Referenzen.
Es gilt noch eine seltsame Paradoxie festzuhalten: Einerseits verlangt die deutsche Gesellschaft für jeden Beruf, für jede Tätigkeit eine Qualifikation im Sinne von Bildungsaktien und Zertifikaten.
Es geht sogar soweit, dass Betriebe als Symbolisierung ihrer Qualität „audits“ vorweisen müssen, um einem imaginären obersten Qualitätsstandard zu entsprechen. Die derzeitige Euphorie um die
Bildungsstandards gehen in die gleiche Richtung.
Seit wir Gott nicht mehr um Rat fragen können, brauchen wir Deutsche ein Substitut des obersten. Andererseits dürfen Laien, die niemals die entsprechenden Qualifikationen mit allen Stufen des
Bildungssystems durchlaufen haben, inhaltlich, sozial und organisationell genau über diese Referenz bestimmen, was z.B. im Bildungs- und Schulbereich geschehen soll (Beispiel Hamburg, wo der
Schulsenator von Beruf Kapitän war, NRW Thüringen ). Woher nimmen diese Personen ihre Qualifikationen? Und warum erlaubt die Gesellschaft Laien über die Zukunft der nächsten Generation nahe zu
ausschließlich zu bestimmen ? Hier wird im Bildungsbereich der Zerfall der Referentiellen überdeutlich. Die relevanten Erzwiehungswissenschaften bleiben aber in der Konzipierung einer neuen
pädagogischen Welt in vielem an alten Referenzen kleben.
7. Alltagshandeln ist Handeln nach Überlebens- Schlußfolgerungen
Jeder Mensch hat auf grund seiner Primärstruktur sogenannte geheime Lebenspläne, wie das eigene „Drehbuch des Lebens“ verlaufen wird. Diese frühen Einstellung und Einschärfungen sind durch
ersten Bezugspersonen entstanden und werden als grundlegende Muster aufrechterhalten und durch weitere selbstreferentielle Erfahrungen verfestigt. Sie sind rekursiv miteinander verbunden, .d. h alle
neue Wahrnehmungen und Erfahrungen werden in diese Primärmuster eingefügt, abgestoßen oder nicht wahrgenommen im Sinne einer Reflexion bzw. Neuorientierung und in der Erhaltung der inneren
Homöostasie. Die darauffolgenden Ausdifferenzierungen in neuen Umwelten und Lebenswelten sind dann die operativen Muster, wie man am besten durchs Leben kommt. Angesichts der ständigen Wechsel von
Mustern, sprachlichen Desemantisierungen, neuen Ereignissen (s Zerfall des Arbeitsmarktes, der sozialen Sicherungssysteme usw..) wird auch der junge Mensch bereits in einen extremen Druck der eigenen
Realität und Existenz gesetzt. Alltagshandeln heißt dann, sich in dieser komplexen Welt sich ständig Nischen zu suchen, wo man am besten überleben kann.
7. Alltag ist Wechsel von Lebenswelten
Alles was wir über die funktional differenzierte Gesellschaft beschrieben haben, gilt hier: die hochgradige Differenzierung der sozial- autopoietischen Teilsysteme sind auch die Drehscheibe von
Wechsel der Referenzen in jeder aktuellen Alltagssituation. Frühere Einheitsvorstellungen von Verhalten, Moral und Kompetenzen sind illusorisch geworden. Es kommt jetzt darauf an, sich sehr schnell
und aktuell in die jeweiligen Referenzen der einzelnen Systeme zurechtzufinden und sich dort anzupassen. Überdauernde Paradies- Einheits- und Heilsvorstellungen mit ihren Begrifflichkeiten sind hier
völlig fehl am Platz.
Hier ist eine Neubestimmung und Neuorientierung in der Didaktik deutlich: Dort, wo immer wieder auf Einheit, überdauernde Werte, Grundqualifikationen usw. gesprochen oder geschrieben wird, wird
dieser reale Wechsel ignoriert. Das wäre ja nicht so schlimm, wenn dies aber dann als allgemeine Präskription (Einheitslehrplan, Einheitsstandards, Einheitsglaubenssysteme, Einheits- Forderungen an
die Lehrenden, Objektivität, usw.). von einem System (Lehrende und Lernende) erwartet wird, das selbst ständig den Wechsel von Referentiellem erprobt, ist dies für mich die schizophrenste Situation,
die wir z.Z. im Schulsystem antreffen können. Die Reaktionen vor allem bei Lernenden sind entsprechend (siehe Chreodenstrukturen).Dazu gehören:Psychosomatische Bereiche, Industrieller Alltag,
Nonverbale Kommunikation am Arbeitsplatz, Nationale Kollektivsymbole, Witze, Straßenverkehrszeichen, Gebrauchsgraphische Instruktionen, Zeitungsgrafiken, Alltägliche Inschriften, Freizeitkultur:
Popmusik, Esskultur
9. Alltagshandelm orientiert sich an der eigenen Organisation
Jedes Mitglied einer Organisation ist zugleich
Literatur:
Arnold, K. H., Sandfuchs, U., Wiechmann, J.(2006): Handbuch Unterricht. Bad Heilbrunn.
Bönsch, M.(1991): Variable Lernwege. Ein Lehrbuch der Unterrichtsmethoden. Paderborn, München
Cohn, R., Terfurth, Chr. (1993): Lebendiges Lehren und Lernen. TZI macht Schule. Stuttgart
Geißler, K.A. (1994): Anfangssituationen. Weinheim
Heitkämper, P- (1995): Die Kunst erfolgreichen Lernens. Handbuch kreativer Lehr- und Lernformen.
Heursen, H.(1997): Ungewöhnliche Didaktiken. Hamburg
Klingberg, L.(1971): Einführung in die Allgemeine Didaktik. Athenäum. Frankfurt/M
Jürgens, E. (2008): Was ist ein guter Unterricht? Neue Konzepte im Wandel der Lernkultur.Bd.4..Päd. Führung in Schulleitung
Kösel, E.(2002): Die Modellierung von Lernwelten.
Band I(2002): Die Theorie der Subjektiven Didaktik. Wissenschaftliche Grundlagen. 4. Aufl. ISBN 3-8311-3224-0. Bahlingen
Band II(2007): Die Konstruktion von Wissen. Eine didaktische Epistemologie für die Wissensgesellschaft. ISBN 978-3-00-020795-2. Bahlingen
Band III: (2008): Die Entwicklung postmoderner Lernkulturen. Ein Plädoyer für den Umbau der Schule. ISBN 978-3-00-020794-5. Bahlingen
Sacher, W. (2001): Leistungen entwickeln, überprüfen und beurteilen. Bad Heilbronn
Schaarschmidt, U. Kieschke, U. (2007): Gerüstet für de Schulalltag. Pschychologische Unterstützungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer. Weinheim.
Schulz v. Thun.(1991-98): Miteinander reden. Reinbeck
Seibert, N.(1999): Kindliche Lebenswelten. Bad Heilbrunn
Stiller, E.(1997): Dialogische Fachdidaktik Pädagogik. Paderborn
Uhlig, J., Solga, H. Schupp, J.(2009):Ungleiche Bildungschancen. Welche Rolle spielen Underachievement und Persönlichkeitsstruktur. WZB. Berlin
Didaktische Handeln Teil 2
Die Stufen der didaktischen Handlungen
Wir unterscheiden:
H1 handeln, handeln, handeln
H2 handeln, handeln, reflektieren, handeln
H3 handeln- reflektieren, handeln, reflektieren
H4 reflektieren, reflektieren über das Reflektieren, handeln, reflektieren
Die H1-Ebene: Didaktisches Handeln als didaktisches Alltags-Handeln
In diesem Bereich ist Didaktisches Handeln im Sinne von Rezeptwissen anzusehen.
Man kann sich damit auf Routinedenken und Zweckmäßigkeitshandeln einrichten.
Ich weiß, woran ich bin, ich weiß, dass ich mich im Rahmen meines Systems bewege,
ich weiß, dass ich, wenn ich davon abweiche, Schwierigkeiten bekommen könnte.
In diesem Bereich kann ich mit Hilfe von Alltagssprache, z. B. mit der Insider-
Sprache eines Kollegiums, die vielen Ungereimtheiten in eine symbolische Ordnung
bringen, die von allen akzeptiert wird und wo ich mich im Bereich der Objektivation
bewegen kann. So bildet sich ein Reich der obersten Ordnung in diesem Alltag.
Alle Routinenereignisse werden durch eine spezifische Alltagssprache sinnhaft
geordnet. Dieser Wissensvorrat wird von einer Generation an die andere
weitergegeben. Dadurch weiß ich auch, dass Andere, z. B. Berufskollegen,
mindestens ungefähr wissen, was ich meine und zu wissen behaupte.
Dieser Wissensvorrat genügt zunächst auch für die vielen komplexen Erscheinungen
innerhalb des Bereichs „Alltagshandeln“. Routinehandeln ist nur in einem bestimmten
Kontext erlernbar. Z. B. ist innerhalb der Lehreraus- und Fortbildung die Schule der
Kontext, nicht die Hochschule. Die Frage ist: Wo beginnen wir mit einer
professionellen Ausbildung, im H1-Bereich oder im H4-Bereich? Verwischungen
sollten jedenfalls, so gut es geht, vermieden werden. Der Alltagsverstand hat
unzählige prä- und quasi-wissenschaftliche Interpretationen der Alltagsphänomene,
die er für gewiss hält. Die gesamte Alltagswelt etabliert sich als die oberste
Wirklichkeit und es ist unmöglich, sie zu ignorieren( 328- nach Berger & Luckmann
H1- Handeln ist auch Alltags- und- Routinehandeln. Es ist die Kategorie des unreflektierten Gefühls, der Unmittelbarkeit, Spontaneität, der alltägliche Umgang mit Zeitnot und Raumnot, Injunktion (Vorschrift, Instruktion, Befehl, Anweisung), der Dokumentation, die alltägliche Empfindsamkeit: Enttäuschungen, Hoffnungen, Gerüchte, Tratsch, Erfolge durch Rituale des Feierns (Kasten Bier, Kaffeepausen etc.), Automatisierung, routinisierte Lernkultur, Zeichen und -Kommunikationssysteme des Alltags: Fernsehen, Computer, Telefon, Handy, alltägliche Vorschriften.
Der Alltag verweist auf Zeit und Wiederholung, er hat zeitliche, kognitive und axiologische (auf Werte beziehend) Dimensionen.
Damit sind auch im schulischen Bereich eine Gleichförmigkeit der Ereignisse und Situationen in ihrer Abfolge gegeben, eine ständige Reflexion und Neuentscheidungen sind unnötig. Der jeweilige
Erwartungshorizont von alltäglichen Abfolgen führt zu den Kategorien des Gewohnten und Gewöhnlichen. Alltag ist Erfahrung und Verfestigung von Mustern
wiederholte gleiche Erfahrung führt zur Musterbildung in einer Lernkultur. in Situationen im Hier und Jetzt. Handeln sichert den alltäglichen Ablauf und die Anonymität der Entscheidung.
Alltagshandeln ist Ritualisierung des Alltags:
Interaktionsrituale sind die Klammer für den Alltag. Alltagshandeln ist auch Orientierung im ständigen Zerfall von Referentiellem. Es bestanden früher solide Referenzen im sprachlichen, sozialen, moralischen, zeitlichen, naturhaftem und individueller Hinsicht. Es war ein Charakter des Realen, des gesunden Menschenverstandes. Heute zerfallen Normen, Regeln und Verlässlichkeiten. Deshalb betonen wir den H2 Bereich als eine notwendige Stufe von Gewohnheitsbildung und damit Stabilitätsbindung. Alltagshandeln ist Handeln nach Überlebensschlussfolgerungen:Jeder Mensch hat auf Grund seiner Primärstruktur so genannte geheime Lebenspläne, wie das eigene „Drehbuch des Lebens“ verlaufen wird. Der Alltag übernimmt symbolisch viele komplexe Bereiche zur operativen Handhabung anstelle kommunikativer Auseinandersetzung und Konsensbildung für den Lernenden.
Der Ich-Bereich des Alltags im H1 und H2 Bereich:
Sozial- autopoietischer Alltag: darunter gehörten Automatisierung, Familienleben, Jugendkultur, Umgangsformen, nonverbale Kommunikation am Lernort, kulturelle Muster. Esskultur, Freizeitkultur: Popmusik, Tourismus,
Zur routinisierte Lernkultur gehören Zeichen und -Kommunikationssysteme des Alltags: wie z.B. Fernsehen, Computer, Telefon, Handy, alltägliche Inschriften. die regelmäßige Wiederkehr des Gleichen im Alltag als Repetitive Handlung. Sie impliziert keinen Wandel, oder man kann sie auch als wiederkehrende Routinewirklichkeit, mit linearer Temporalität, Gleichförmigkeit der Zeitpunkte, Zeitdauer(Stundenpläne), zeitliche Abfolge alltäglicher Ereignisse beschreiben.
Die gleichzeitige Unterbrechung der Rhythmen des Alltags durch das Nichtalltägliche der freien Tage und der Nacht, zwischen Arbeit und Nichtarbeit, Ferien –Nichtferien ist die Gegenwelt zum Alltag: Das Alltägliche geschieht tags, nachts ist die Abkehr und Zeit zum Schlafen und Träumen. Das Alltägliche wimmelt von Aktivitäten, das Alltägliche steht auch im Gegensatz zum Einmaligen und Einzigartigen. Die Erwartungshorizonte des Repetitiven sind die Gewohnheit und das Gewöhnliche. Das Gegenwärtige Das Alltägliche ist im Hier und Jetzt und wird als das Reale erfahren. Das Gegenwärtige steht im Gegensatz zum Vergangenen, es steht auch zum Gegensatz zum Fernen und Fremden. Alltag ist keine Fiktion. Er ist die Gliederung des individuellen und sozialen Lebens. Die Wiederholbarkeit ihrer Verrichtungen ist in der Wiederholbarkeit eines jeden Tages, in der Zeiteinteilung eines jeden Tages fixiert. (Kosik,1967).
H1 –Bearbeitungsfelder: Initiation in ein Zeichensystem Initiation in das soziale System Inititation in den Lerngruppen Initiation in die bestehende Lernkultur Festlegung von Primärregeln und Normen im Ich-Wir- und Sachbereich Musterbildung Ritualisierung von Abläufen, Anfang und Ende, Umgang mit anderen, in Projekten, bei Festen und Feiern, in einem Fach, in der Kernbildung einer Lerngruppe. |
Bearbeitungsfelder im H 1 Bereich |
Didaktischer Bezug:
Jede Lernkultur entscheidet sich über ihren weitere Entwicklung im
Aufbau von Mustern und Gewohnheiten
im präskriptiven Feld ( Muster
im organisatorischen Feld
im Feld der Zugehörigkeit (Inklusion- Exklusion)
im Feld der Inkorporierung
im Feld der Temporalisierung im epistemologischen Feld (Wissensarchitektur) Musteraufbau
Erfahrungs-Muster
Erfahrungshandeln
Grenzen und Injunktionen trainieren
Umgang mit den Vorgesetzten
Umgang mit der didactic Communitiy
Umgang untereinander
Erfahrungen in der Kern-und Randbildung
Die Mittel der Parallelisierung und Resonanzen sind
Vertragsarbeit initiieren
Normierungen festlegen
Selbstorganisation zulassen und fördern
Einsicht als didaktische Vernunft üben
Selbstgemachte oder anweisende Erfahrung üben
bestehende Chreoden- Muster reflektieren
Insider Sprache benützen
Musterabgleich trainieren
Technologien von Musteraufbau anwenden:
Der alltägliche Umgang mit Zeit und Raum ordnen
Formen und Inhalte des Alltags bewusst machen
Semiotisierte natürliche Alltagswelt anerkennen und als Möglichkeit der Kommunikation benützen
Artefakte des Alltags( Konsumgüter, Designobjekte, Mobiliar, Lernräume,
Abfall und Müll) bewusst als gemeinsame Zeichen, Symbole und Produkte mit den Lernenden wahrnehmen und fördern.
Die Initiation als einen zentralen Bestandteil im H1/H2 Handeln
Im sozialen System Schule und Unterricht ist wie wir schon betont haben der Bereich Zugehörigkeit eine zentrale Kategorie (s. Band II: S.341ff).
Sie entscheidet sowohl die Privilegienverteilung auf dem Bildungstauschmarkt als auch die internen sozialen Gratifikationen durch Zuwendung und Entwicklungsmöglichkeiten oder durch Abwendung, Nichtbeachtung und Abwertung. Besonders der Vorgang der Zugehörigkeitsbildung entscheidet für die nachfolgenden Zeiten, ob sich Lehrende und Lernende zu dieser Kultur zugehörig empfinden oder nicht.
Die Einführung und das Erwärmen für neue Sprachspiele (z.B. Sprachen, naturwissenschaftliche Systeme, mathematisches Sprachspiel), sehen wir die Initiation als eine Pflichtaufgabe für jede Fachdidaktik. Dazu gehören folgende Bereiche:
- die Aktivierung der bisherigen Wissenserfahrungen bei Lehrenden und Lernenden
- Die Initiation in das neue Denksystem
- Die Einführung in die jeweiligen relevanten Denkregeln (Logiken)
- Die Beachtung der jeweiligen temporalisierten Chreoden
- Die Bereitstellung von Metaphern, Diagrammen, mimischen, szenischen Darstelllungen für Lernende mit AVK-,KVA-Chreoden, die die herkömmlichen Logiken der jeweiligen Fachdidaktik nicht verstehen können, weil sie andere Repräsentationssysteme haben..
- Die Beobachtung der Bildung von Eigenlogiken bei Lernenden (z.B. Repräsentationen)und bei sich selbst als Lehrender
- Die Offenlegung der subjektiven Nähe und Distanz des Lehrenden zum jeweiligen Morphembereich oder Einzelmorphemen
- Die spezifische unterrichtliche Kommunikation im Wissenssystem (wie werden und wollen wir miteinander kommunizieren?)
- Wissens um die Attraktoren für kognitive Musterneubildungen bei den Lernenden
- Die Entwicklung einer Referenzordnung bei den Chreodentypen
- Vergewissern im Aufbau von Wissensarchitekturen-Typen von Architekturen durch Wiederholung, anderer als bisher verwendeten Repräsentationsmodi durch den Lehrenden
- Die persönliche Darstellung des Lehrenden in seiner Referenz zum Fach und seiner Entstehungsgeschichte (epistemologische time -line des Lehrenden).
- Die ständige Absicherung von Begriffen, Begriffshierarchien und Relationen im Referenzbereich (z.B. Mathematik)
- Der Aufbau eines hedonistischen, hoffnungsvollen Eintritts in das jeweilige Zeichensystem
- Die Darlegung und Erklärung der jeweiligen Wissensarchitektur ( welche Wissenskonzepte, Wissensarten, Wissenslogiken, Wissenskontexte und Wissensfelder sind im Referenzbereich dominant?)
- Die Beachtung verschiedenster Zugänge zu den Repräsentationsprofilen bei Lernenden durch verschieden Medien der symbolischen Vermittlung (Metaphorik, Analytik, Narration, multimediale Systeme, Erlebnissituationen unter Risiko, usw.)
Methoden der Initiation:
Auf der operativen Ebene einer Lernkulturen sind Rituale, Symbole, Metaphern, Erfahrungen (z.B. Erlebnispädagogik), Analogien Cartoons, Kommentare, Ordeals(soviel wie Tortur, Rosskur, Feuer -und Nagelprobe n.Haley 1989) die ersten wichtigsten Bausteine der Initiation. Sie müssen von der Didactic-community selektiert, in eine Präferenzordnung und in einen Kontingenzrahmen gestellt werden. Diese Arbeit kann weder eine Theorie noch eine Behörde, noch eine externe Gruppe leisten. Dies ist allein die Entscheidung der didactic- communities im Sinne eines funktional -differenzierten Teilsystems.
Rituale
Neben rituellen Handlungen sind die Art und Weise der Zeit-Strukturierung, die Gestaltung des Ausbildungs-Milieus, ebenso Zeremonien und Amulette von großer Bedeutung.
Rituale sind Methoden, Leben zu geben. Sie sind normalerweise Hilfen, die eine neu in Erscheinung tretende Identität stützen und das Weitermachen ermöglichen. Dies ist gekoppelt mit dem Versuch, die Macht des Bereichs zu stärken oder gar auszuweiten.
Mittels Ritualen stellen sich Menschen vor, sie erlangten feste Kontrolle über die materielle Welt und über Menschen. Zugleich glauben sie, dass sie sich mit Hilfe von Ritualen über die Gegenwart hinweghelfen könnten, um Schutz vor dem Zerfall in der Zukunft zu garantieren und zugleich sich symbolisch auszuweiten und schließlich Sicherheit zu genießen; damit kann sich der Einzelne oder ein System über etwas hinwegsetzen, Hinwegheben, ja sogar sich selbst zum Mittelpunkt des gesamten Systems machen.
In Schulen, Unternehmen und anderen Institutionen gibt es rituelle Handlungen, die einerseits Veränderungen und reflexives Bewusstsein verhindern, zum anderen können sie aber auch Mittel sein, um neue Identitäten zu ermöglichen und zu stabilisieren.
In einer bewusst gestalteten unterrichtlichen Kultur sind vor allem folgende Rituale wichtig:
Rituale der Kommunikation
Rituale der Zeit-Strukturierung
Rituale der Personen-Auswahl und der Loyalitäts-Bindung
Rituale der Entscheidung
Rituale der Lern-Organisation
Rituale der Gewährung oder Nichtgewährung von Handlungs- und Denk-Spielräumen
Die klassischen Merkmale von Ritualen sind Amulette, Zaubersprüche und Besitz, genau festgelegte und immer wiederkehrende Besitztümer auch immaterieller Art (Bildungs-Aktien).
Rituale werden in stereotyper Art vollzogen, sie werden öffentlich ausgeführt und haben einen hohen symbolischen Wert: Sie festigen den Zusammenhalt, sie drücken Gefühle und die Befriedigung bestimmter Triebwünsche formelhaft aus und nicht zuletzt beschwören sie geheime Angstphantasien. Sie geben auch vor, Sachaufgaben zu bewältigen, obwohl sie unmittelbar gar nichts damit zu tun haben. Rituale haben fast immer ein "doppeltes Gesicht": Sie geben nach außen vor, was innerhalb des sozialen Systems nicht unbedingt echt ist.
"Es ist eine kollektive Inszenierung einer Problemlösung, durch die eine komplexe und instabile Wirklichkeit vereinfacht und handhabbar gemacht wird. Lähmende Unsicherheit wird durch und in tradierten Handlungs-Schablonen aufgezogen."[1]
Wir betonen Rituale deshalb so deutlich, weil gerade in der Unterrichtskultur die Auswirkungen von unangemessenen oder überholten Ritualen manchmal verheerend sind. Das ist vom Träger oder Inszenator aber in der Regel gar nicht beabsichtigt.
Welche Rituale werden im unterrichtlichen Bereich als selbstverständliche Elemente einer wie auch immer gearteten Unterrichtskultur entweder vom umgebenden Schulsystem oder Unternehmen vorgegeben oder von den Beteiligten selbst entwickelt bzw. mitgestaltet?
Krasse Beispiele dafür sind die Rituale in Lehrerkonferenzen oder bei Elternabenden. Aber auch rituelle Handlungen im Unterricht gehören dazu: z. B. Aufstehen, Setzen, Sprach-Rituale etc.
Beispiel: "Klassenarbeit" Bei Klassenarbeiten, deren Anfertigung und Rückgabe aus einem strukturierten Handlungsmuster bestehen, sind folgende festgelegten Handlungsmuster beobachtbar:
Ankündigung der Arbeit
Austeilen der Arbeitshefte
Leeren der Arbeitsfläche von überflüssigen Gegenständen
Einnehmen von bestimmten Plätzen durch bestimmte Schüler
Schweigen während der Anfertigung der Arbeit
Kontrollierendes Umhergehen des Lehrers in der Klasse
Vermeiden jeder vom Lehrer nicht zugelassenen Kommunikation
Es gibt aber auch Schulsysteme, die kaum Ritualisierungen kennen oder einführen, weil sie aus dem Zwang von Mustern herausbrechen wollen
(siehe Emanzipationsdebatte, Wimmer M. Schäfer, A. (1998). Kaiser, A.(2003).
Diese Situation kann man leicht bei Lernkulturen mit wechselnden Referenzen beobachten (s.S.167)
Mythen
Es sind grundsätzliche, nicht beweisbare Wirklichkeits-Erklärungen, es sind Handlungs-Programme, Grundhaltungen, Denk ‑Schemata usw. Es sind Geschichten und Sprüche, die eine abstrakte Allgemeingültigkeit haben und eine bestimmte Seite der Dinge nahe legen und konkretes Handeln lebendig vor Augen führen. Sie selektieren, etikettieren, modellieren und legitimieren. Sie sind meist als Killerphrasen sprachlich festgelegt:
"Es kommt auf jeden Einzelnen an!"
"Wir dürfen uns nicht die Butter vom Brot nehmen lassen!"
„Wenn du die Schule gut durchlaufen hast, stehen dir alle Wege offen“
„Das dreigliedrige Schulsystem hat sich bewährt“
Sprüche und Geschichten
Sie dienen dazu, Gesetze, Lehrpläne, Vorschriften und Anordnungen in ihrer Abstraktheit lächerlich zu machen oder sie auf lebensnahe und konkrete Situationen herunter zu transformieren. Damit haben sie eine Entlastungsfunktion. Sie bieten aber auch Erklärungen für nicht begreifbare und unverständliche Vorkommnisse an. Man versteht jetzt besser, warum etwas so und so ist.
"Las dich nicht einschüchtern!"
"Wenn die da oben glauben ...!"
"Wir sind nicht so wie diese Schweine ...!"
"Denen haben wir's gezeigt ...!"
Grafitti / Sprechblasen
Es sind Texte, die Gedanken, Maximen und Sprichwörter enthalten und in Zitaten-Sammlungen, Kalendern, in Almanachen, an Mauern, als Auto-Aufkleber usw. erscheinen. Sie legen oft Mängel bloß, sind
Enthüllungen, entlarven oft die Mythen und dienen zur eigenen Entlastung oder zum Abbau von Aggressionen. Sie sind "Bekennerbriefe", so dass jeder weiß, mit wem er es zu tun hat. Dazu gehören auch
Toilettensprüche, Gangsprüche
Klassensprüche, Aufkleber am Klassenzimmer: "Wir sind eine starke Truppe"
Aufkleber am Direktorenzimmer: "Big Boss" - ein Affe in Positur
Sprüche über Lehrerinnen und Lehrer
Spitznamen
Eine ganze Industrie lebt von diesen Aufklebern!
.Gesetzessprüche
Es sind meist Pseudo-Gesetze der Schulleitung bzw. des Schulamtes:
"Pünktlichkeit ist unser oberstes Gebot ...!"
Solche Gesetze werden meist verleugnet oder ins Gegenteil verkehrt:
"Der Endtermin ist immer eine Woche nach dem ursprünglichen
Endtermin ...!"
"Wenn du zwei widersprüchliche Anweisungen erhältst, erfülle sie
beide ...!"
Witz und Humor
Zur Unterrichts- und Schulkultur gehört auch, inwieweit die Stimmung in einer Klasse, Schule usw. heiter, gelöst, gedrückt usw. ist.
Man kann diesen "Stimmungsbereich" wie folgt einteilen:[2]
Ritualisierte Heiterkeit
Damit ist die standardisierte Alltagsfröhlichkeit gemeint, die einfach so abläuft:
Begrüßungsrituale, kleine Scherze über Kleidung, Frauen, Männer usw. Sie haben etwas Aufgesetztes und Fassadenhaftes, dienen aber einem reibungslosen Ablauf ohne viel persönliches Engagement.
Stabilisierte Rollenzuweisungen: bestimmte Personen übernehmen auf die Dauer bestimmte Rollen: Witzbold, Gruppen- clown, graue Maus, Sündenbock, Störenfried.
Um bestimmte Verhaltens-Mechanismen zu ertragen, bekommen bestimmte Leute nicht zufällig solche Etikettierungen.
.Situationskomik:
Durch Missgeschicke, neue Kleider, Frisuren, Vorfälle mit Schülern usw. passieren jeden Tag unvorhergesehene Ereignisse, die spontan zur Heiterkeit Anlass geben, zum Spötteln usw. Es ist dann aufschlussreich, wer mitlacht, wem es peinlich ist, wer schmunzeln kann usw.
Scherzspiele:
Spott und Hänselei sind beliebte Spiele, wobei festgelegt ist, wer die Zielscheibe ist und mitmachen muss. Es sind meist Beziehungen, die entweder ausgeglichen oder aber meist in irgendeiner Weise beladen oder belastet sind, heimliche Aggressionen, versteckte Suche nach Nähe usw., z. B. erotische Scherze. Oft wiederholen sich diese Scherzspiele innerhalb eines Tages oder sogar in einzelnen Unterrichtsstunden immer wieder.
Witze:
Witze sind Fertigware, die sich bei einmaligem Genus schon verschleißt. Wer
Witze machen, wollen unterhalten und sich lustig machen, sich gesellig präsentieren, sich von Triebspannungen und Ängsten auf eine kaum sublimierte Weise entlasten und konkrete Mängel und Verleugnungen entlarven. Meist ist dem Witz-Träger die volle tatsächliche Bedeutung gar nicht bewusst, sondern sie kommt mit ihm selbst in einem versteckten Gewand zur Gruppe.
Spiele:
Drohspiele, Kontrollspiele, Konferenzspiele, Flirtspiele usw. gibt es tausendfach
in der Schule und im Unterricht. Spiele symbolisieren Gewinn und Verlust, ferner Überleben. Es gibt Gewinner oder Verlierer und Verfolger.
Die Transaktionale Analyse beschreibt und analysiert viele Kombinationen von solchen Spielen. Das wichtigste für den Unterricht und die Schule ist wohl das "Drama-Dreiecks" (s.Band I S.102 f.).
H2- Handeln in einer Lernkultur
Der Aufbau von Lernkulturen mit Hilfe von Regeln und Entscheidungen im H2 Bereich
Didaktisches Handeln in einer Lernkultur manifestiert sich im H2-Bereich unabhängig von irgendeiner wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeit. Es ist die Kategorie der Tätigkeit, der Anstrengung, der Bezugsnahme auf Selbstverständliches, der Macht, Rollenverteilung und Gewalt. Es ist die Welt der Mühe, der Enttäuschung oder Freude über gelungene Arbeit. Die Kategorien der Realität, der Erfahrung in Raum und Zeit, der gespürte körperliche Einsatz und das Ergebnis nach langen Prozessen sind im Vordergrund.
Es ist das Arbeitsleben, das viele stabilisierende und damit ordnende Funktionen beim einzelnen Lehrenden und Lernenden erfüllt. Die Devise heißt: tun, was ansteht und das ist gut so, und so vollständig wie möglich. Sich Mühe geben, als den Zugang zur Freude, das fängt hier und jetzt an und geht von da immer weiter. Es ist ein Bemühen um eine ganz konkrete Situation. Man will nicht besser, schneller sein, sondern man arbeitet einfach und erfährt die Qualität der Arbeit. Das eigentliche Flow- Erlebnis ist dann überall zu finden, beim Auswendiglernen, beim Vokabellernen oder beim Schreiben eines Aufsatzes und das dabei empfundene Glück, nicht der Erfolg. Der unbedingte Glaube an das Besondere, in dem es immer heißt, was tue ich, wie tue ich, warum tue ich es, wie viel bekomme ich dafür, ist freudlos und beschränkt. Es wird auf ein Etikett reduziert. Es geht um ein konkretes Erlebnis, es geht um ein Aufleben und um das Einfache, um Konzentration und das Aufheben von Beschränktheit und Bedingtheit. Es ist eine verschmelzende Energie und die innere Ausrichtung auf eine Sache. Wenn die Dinge automatisch ablaufen, dann geschieht das Richtige, ohne dass man irgend darüber nachdenkt oder überhaupt in eine Diskussion eintreten will. Es ist eine Kraft, die das Tun ohne Zögern und Vorbehalte geschehen lässt, das mitten ins Erleben hinführt. Es ist ein Gefühl anders als beim Schnäppchenjäger, der jedem grellen Reiz und jedem Angebot verfällt.
Leider ist durch die Rigität des Bildungstauschmarktes dieses ursprüngliche flow- Erlebnis bei vielen Lehrenden und Lernenden überdeckt durch die Erfolgsantreiber, durch die Konkurrenzmuster und durch Kränkungen. Dann kommt es zu Gegenmuster der Verweigerung oder Kränkung führen (siehe aversive Chreoden, Chreoden der Verwöhnung, Chreoden der gekränkten Identität usw.) mit allen Folgen im H2 Bereich. Lehrende, die diesen Antreibern unterworfen sind, werden kaum ein Glückgefühl eines Lernenden nachvollziehen können, der im Status des H2 Handeln glücklich, aber nicht unbedingt erfolgreich im Sinne von Bildungsaktien-Erwerb ist.
Der Aufbau von Lernkulturen auf der bisherigen Situation durch Regeln und Entscheidungsfindungsprozesse könnten wie folgt abgearbeitet werden:
.Anfangsbotschaft:
Mitteilung von verbindlichen Regeln und Normen für alle
Wünschenswerte Regeln und Normen
Sanktionsrahmen festlegen
Kontingenzen für die Lehrenden
Kontingenzen für Lernende
Entscheidungsfindung
- Gesetzte Regeln und Normen ( Hierarchisierung -Heterarchisierung)
- Erarbeitete und konsensuelle Regeln, Prinzipien und Normen
- prozessorientierte Regeln
Mustererkennung, Musterbildung, Mustervariation bei uns Lehrende und Lernenden selbst
Selbstorganisation: Grad der Selbstorganisation kommunizieren
Entscheidungsbeteiligung
Den Initianten den Grad der Entscheidungsbeteiligung offen legen
Folgende Fragen könnten im H1/H2 Bereich bei einem Lehrenden im Vordergrund stehen (die subjektiv sehr verschieden sind):
Wie heißen die Thema für den kommenden Unterricht?
Was weiß ich schon darüber?
Wie stehe ich selbst zum Thema
Welche Medien werde ich einsetzen
Wie werde ich einsteigen?
Wie werde ich vorgehen
Wie werde ich den Unterricht steuern
Wie werden meine Lernenden mitmachen und welche werden stören?
Was soll am Ende herauskommen.
Wie notiere ich mir meine Gedanken?
Was ist Routine?
Welche epistemologischen Regeln will ich mit den Lernenden aufbauen?
In einer gedeihlichen Lernkultur ist Mustererfahrung und Festigung durch Alltagssprache dominante Faktoren für ein Verhalten in einer Lernkultur. Es werden erste Erfahrungen mit synreferentiellen Grundmuster im System gemacht oder angeboten. Routinehandeln und Routinebewusstsein werden gefestigt. Daneben entstehen auch autonome Konstruktionen von Regeln, Methoden, Konzepte, die im Rahmen des Bestehenden vorgenommen werden. Es gibt keine hinterfragte Entscheidungsprämissen, die den Alltag verbessern wollen; es sind auch nicht theoretische Überlegungen und keine Optionen für einen Umbau strukturellen Faktoren. Es impliziert zwar einen Wandel, aber immer mit Mitteln und Modi des Bestehenden.
Das Infrage-Stellen struktureller Maßnahmen durch Zweifel, oder Nachfragekommunikation oder gar durch Theorie wird nicht verfolgt. Es werden evtl. versteckt theoretische Überlegungen eingebaut, die aber nur partiell und pragmatisch gelten. Auf dieser Ebene sind vor allem die Logik der ersten Ebene (Logik des Assoziativen, der Erfahrung, der Temporalisierung und der inkorporierten eigenen und der sozial-fokalen Mustern) mitbestimmend und es kommen die Logiken der Erfahrungsreflexion, der Abgrenzung, der Logik des Erfahrungsvergleichs, der Logik der Normierung und der Logik des Überlebens und der Karriere hinzu.
Folgende Fragen und Dimensionen könnten jeweils subjektiv relevant werden:
-Wie plane ich meinen Unterricht für diese oder jene Lerngruppe:
-Wie kann ich diesem oder jenem Lernenden begegnen, welche Muster der Belohnung und Bestrafungen setze ich ein,
- gibt es noch andere Möglichkeiten aus meiner Erfahrung
-Wie werde ich den Unterricht gestalten aufgrund der bisherigen Erfahrung.
- welche Muster sind aufgebaut und eingeschliffen?
- welche Muster bedürfen einer neuen Verankerung und Festigung?
- welche Initiationsformen verwende ich in den einzelnen Klassen oder Fächer und wie verankere ich die Formen zu Gewohnheitsmuster(bei einzelnen oder bei einer Lerngruppe?
- gibt es noch andere Möglichkeiten, die ich an anderen Kolleg/innen gesehen habe?
-Was war gestern und vorgestern mit der Lerngruppe, mit den einzelnen Schülern und mit dem Kollegium?
- meine Erfahrungsmuster im Umgang mit widerspenstigen, frechen, apathischen und lernunwilligen Lernenden...
- auf was kann ich mich verlassen? (meine Person, meine Methoden, meine Macht. Meine Überlegenheit, meine innere Ruhe, mein Wissen um die Sache usw.?)
- wo sind meine Schwächen, wie könnte ich sie auf Grund meiner Erfahrungen vermindern?
- meine Unterrichtsvorbereitung gestalte ich schriftlich oder nur in Gedanken? Welche Zeit nehme ich für mich, mich innerlich für dieses oder jenes Problem vorzubereiten. Meine Alltagsmuster sind....
-Wie könnte ich Unterricht aufgrund von Erfahrung oder praktischer Fortbildung anders gestalten, als bisher?
- welche Position nehme ich im gegenwärtigen Chaos der Bildungspolitik ein?
- welche neuen Methoden (aus Büchern, workshops usw.) könnten in meinen Unterricht passen?
-Wie gehe ich mit meinen Ängsten, Enttäuschungen, Frustrationen und mit dem nächsten Ereignis um?
Als ein typisches Beispiel für eine im H2 Handeln angesiedelter Konzeption kann man das gemeinsame Projekt des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bertelsmann Stiftung mit den Region Herford und Leverkusen ansehen.
(Auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur. Päd. Schulentwicklung in den Regionen Herford und Leverkusen Hrg. v Lohre, W.2.Aufl. 2000).
Es sind die Kategorien der Bezugnahme der Reaktion, der Handlung, des Faktischen, der Realität und Erfahrung in Raum und Zeit ohne reflexiven Bezug. Oft mit einem Flow- Erlebnis von Glück und Zufriedenheit. Es sind Muster- Erfahrungen und Festigung durch Alltagssprache und teilweise neue Methoden.
H3- Handeln in einer bestehenden Lernkultur
Die Ebene ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
Einmischung ins Bestehende, Forderung nach mehr und besser, Handlungen und Artefakte werden diskutiert, Muster erstmals in Frage gestellt. Routine nach blinden Flecken untersucht, die1. Stufe der Metakommunikation wird erprobt, Mustererkennung mit Hilfe von Fachbegriffen und Biographischer Selbstreflexion. Anzeichen von hohem Energie- und Zeitverbrauch bei den Mitgliedern. Divergenzen in den Leitdifferenzen, didaktischen Prinzipien und Postulaten werden offensichtlich. Entscheidungssituationen um den „richtigen „ Weg für die Zukunft usw.
Im günstigen Falle ist ein Aufbau und Kommunikation eines sozialen Gedächtnisses erkennbar, in dem neue Gewohnheiten geübt werden, blinde Flecke erkannt, erste Neukonstruktionen gewagt, Begriffswissen in neue Kontexte gestellt werden. Flow Erlebnisse sind kaum am Anfang zu beobachten. Einmischungen und Brüche führen zu Frustrationen, hohen Energieaufwendungen und riskanten Entscheidungen.
Es entwickelt sich eine erste Metakommunikation über Gewohnheiten, über die Notwendigkeiten, eingeschliffene Gewohnheiten umzubauen, neue Symbolisierung der neuen Gewohnheiten vornehmen, Entwürfe von Entscheidungs- und epistemologischen Regeln transparent machen, Analogien herstellen, Metaphernbildung fördern, narrative Analogien verwenden, Entscheidungstechniken kennen lernen.
Es kann ein Neuaufbau von Mustern mit Hilfe von Fachsprache und neuen Zeichensystemen geschehen, es verändern sich Mustern durch Aufklärung mit Theorie und Biographischer Selbstreflexion, Gewohnheiten 2.Ordnung werden eingeführt, Erfahrungen 2.Ordnung werden gefestigt, Metamodelle einführen und festigen.
Es kann ein allmählicher Einbau von Metalogiken wie z.B. Logik der Gebietserweiterung, der Generalisierung usw. erfolgen.
Gelingt dieser Umbau nicht, so fallen solche Lernkulturen weit zurück, die Enttäuschungslage ist groß und die Muster des Gewohnten rühren sich wieder mit der Behauptungsweisheit, es war doch gar nicht so schlecht, wie es früher war.
Will man ein für den Alltag zugeschnittenes Planungs-Modell konstruieren, so sieht unser Vorschlag mit folgenden Leitfragen aus:
z.B.
Was will ich heute in dieser Klasse/Lerngruppe erreichen:
In Bezug auf den Stoff (Wissensarchitektur),
in Bezug auf die Kern- und Randbildung (was gehört zu uns und was nicht, z.B. in den Bereichen wie Regeln, Normen, Klima, Kommunikation, gegenseitige Wertschätzung, Leistungsinterpretation).
in Bezug auf Beachtung einzelner Lernenden mit ihren spezifischen Chreoden
in Bezug auf eine gemeinsame Insider-Sprache mit jeweils fachlicher Version
in Bezug auf die Förderung des Klimas
in Bezug auf die Aussteiger (aversive Chreoden)
in Bezug meiner eigenen Abgrenzung gegenüber unerfüllbaren Forderungen und Erwartungen
in Bezug auf meine Kopfbewohner (welchen gebe ich den Vorzug, welche haben heute keinen Platz in meinen aktuellen Entscheidungen in der Driftzone?)
in Bezug auf die Beobachtung 2.Ordnung: wie beobachte ich mich und die Lernenden, uns gegenseitig, wie wir lehren und lernen
in Bezug auf Eintrainieren reflektierter Gewohnheiten und Mustern
in Bezug auf das Erlernen der Kategorien einer Wissensarchitektur
in Bezug auf eine Kultur der gegenseitigen Verständigung
in Bezug auf die Erweiterung des jeweiligen Weltwissens bei den Lernenden als Weltorientierung
Bei einer weiterentwickelten H3- Stufe in einer Lernkultur kommen sporadisch folgende Differenzierungen hinzu:
Autonome Konstruktion von Regeln, Mittel der Parallelisierung werden erprobt, die Prinzipien Pacing (geführt werden) und leading (führen)werden erprobt, die Prinzipien und Methoden der nicht direktiven Gesprächsführung werden angestrebt, es bildet sich eine gemeinsame Insider Sprache und gemeinsame Kodes, das Feedbackverfahren im Hier und Jetzt wird angestrebt, die Technologien von Musterverfestigung/Musterstabilisierung und Mustervariation werden erstmals in Angriff genommen, hedonistische Techniken werden erprobt, die Inkorporierung vom Geist einer Lernkultur geschieht durch Bewegung (Rhythmik, Tanz, Sport),Musik, Kunst, Erfahrungen, Erlebnisse (Grenz- Erfahrungen, Feste, Feiern, Belohnungs- und Ehrungssysteme). Eine bewusst reflektierte Topologisierung (die Bedeutung von Räumen und Lernorten) wird eingeführt.
H4 –Handeln in einer bestehenden Lernkultur
Didaktisches Handeln bedeutet in diesem Status Beobachtung 2. Ordnung von Alltagshandeln, Mustern und Gewohnheiten mit Hilfe anderer Ordnungen und Unterscheidungen (Selektion, Negation, Ausschluss). Es wird versucht, die blinden Flecke in der eigenen Lernkultur zu identifizieren, Aufklärung über blinde Flecke durch Systematik oder Theoriepositionen, durch Alternativen und Kontingenzaufklärung, didaktische Reflexion durch Selbst und Fremdaufklärung, Dominanz von didaktischen Zeichensystemen und neue Begrifflichkeiten. Sinn-Visionen als Alternativen, didaktisches Handeln mit theoretischer Position, Mustererkennung mit Hilfe einer Theorie, Kenntnis der Komplexität, Musterbildung durch unbewusster Kompetenz, Fachsprache und Theorieorientierung, Unterlassungswege erkunden, gesellschaftliche Mythen und Glaubenssysteme und deren Auswirkungen auf das Lernen durchschauen.
Eigene Wissenskonstruktionen mit dem Instrument der Wissensarchitektur aufbauen und zur Diskussion stellen.
Die Wissensformen als Grundlage für eine epistemologische Orientierung und Kontextierung benützen und mit Lernenden kommunizieren können. Die Reduktion von Komplexität in den Korridor-Bereichen vornehmen können (siehe S.313 Band I: z.B. Sachbereich, Ich-Bereich, Wir-Bereich, Sinnsystem, Kommunikation, Prozessteuerung, Subjektiver Habitus, Normierung, Lernkultur).
Die Hinzuziehung von externen Beratern oder Spezialisten für dominante Entwicklungsbereiche wäre eine längst fällige Maßnahme.
Fragen können dabei hilfreich sein:
-Wollen wir eine rationale Konstruktion in der Morphembildung vornehmen (Rationalitätsmuster des Lehrenden) oder eher aus dem Alltag kommende?
- welche didaktische Option/Vision entspricht meiner Chreoden am besten?
- welche Dominanzen habe ich in meiner bisherigen Wissenskonstruktion festgestellt. Wo sind vermutlich meine blinden Flecke?
Nach den bisherigen Ausführungen steht der Lehrende oder die didactic- community u. a. vor der epistemologischen Aufgabe in der bestehenden Lernkultur die Entscheidung über den epistemologischen Korridor in einer Schule. Der Lehrende oder die community ist durch eine vierfache Dimensionierung bestimmt:
- Er/sie konstruiert eine Struktur der Sache aufgrund des Wissens um die Sache (subjektive Wissensarchitektur) und um das Wissen seiner eigenen Wissensstruktur (Wissensbiographie).
- Er/sie kennt und berücksichtigt so weit wie möglich die Rahmenbedingungen menschlichen Lern und Lehrvermögens (seine eigenen und die der Lernenden) als anthropologische Referenz (individuelle Wissenspotentialitäten, Wissenslebensläufe als epistemologische Time- line)
- Er/sie ist Interpret zwischen der Struktur der Sache (Wissensarchitektur), seiner eigenen Struktur (Wissensbiographie), der Struktur der Chreoden der Lernenden (subjektive Wissenslogiken).
- Er/sie ist Interpret des jeweiligen benützten Zeichensystems und seinen Logiken. Er ist Initiant und Bedeutungsträger für diese System (z. B. Mathematik, Fremdsprachen, Chemie, Kunst
usw.),er ist Konstrukteur und Vermittler von seinen jeweiligen Logiken und den individuell oder sozial entschiedenen medialen Strukturen und deren Symboliken (Bilder, Schulbücher, Diagramme,
Metaphern, Funktionen, Strukturen, Schrift, Sprache, Gebärde, Bild, Text, Landkarten, Comics, Photographie, Film, Computer etc.).
Die Reflexion erfolgt überwiegend anhand theoretischer Versionen.
Im Rahmen der Subjektiven Didaktik wurde eine Reihe solcher Reflexionseinheiten erarbeitet. Sie müssen nun jeweils auf die jeweilige Subjektive Struktur des Lehrenden von ihm selbst selektiert werden.
Dazu benötigt der Lehrende ein Entscheidungsprofil, wonach er die Präferenzprofile für seine eigene Morphembildung und für die Mitwirkung an der eigenen Lernkultur als didaktische Reflexion konstruieren kann.
Folgende Schritte in einer H 4 -Situation sind für eine weiterentwickelte Lernkultur in der Zusammenarbeit mit den Mitgliedern einer didactic community sinnvoll:
1.Ausarbeitung der Komplexität des Unterrichts mit Hilfe der Theorie der Subjektiven Didaktik als langfristige Planung
2.Reduktion auf Korridorbereiche als mittelfristige Planung und Steuerung für die eigene Lernkultur
3.Reduktion der hohen Komplexität einer Lernkultur auf einige wenige Aspekte in den ausgewählten Korridorbereichen als gemeinsamer Sinn.
Für den einzelnen Lehrenden ergibt sich dazu noch eine Reihe von individuellen Aspekten:
1.Die eigene Position über gesellschaftliche Mythen, Visionen und juristische Festlegungen reflektieren
2.Die eigene Position über anthropologische Rahmenbedingungen und Prioritäten identifizieren
3.Die eigene epistemologische Architektur und deren Verwirklichung in der Driftzone als Planung vorsehen
4. über die Berücksichtigung von bestimmten Chreodenstrukturen nachdenken und in ein Entwicklungsprofil einbauen
5. über die kohärente Einbettung des eigenen Unterrichts in die gesamte Lernkultur eines Systems nachdenken und durch operative Maßnahmen zu verwirklichen suchen.
Diese Version ist eine theoretische und orientierende Konstruktion, keine Vorschrift für eine bessere Lösung.
In der Alltagsarbeit der bestehenden Lernkultur und im Unterricht geht es um Reduzierung von Komplexität und zugleich die Perspektive von ausgeschlossener Komplexität. Deshalb ist es ratsam, zunächst die Entscheidungsfelder der Lehrenden in der epistemologischen, sozialen und organisationalen Sinnkonstruktion in der Übersicht darzustellen, damit dann Reduzierungen vorgenommen werden könnten.
Es gelten in der H-4 Position folgende theoretische Leitdifferenzen und Prinzipien (als Auswahl und Orientierung gedacht):
Beobachtung 2. Ordnung von Alltagshandeln, Mustern und Gewohnheiten mit Hilfe anderer Ordnungen und Unterscheidungen reflektieren (Selektion, Negation, Ausschluss, Identifizierung der blinden Flecke).Aufklärung über blinde Flecke durch Systematik oder Theoriepositionen und durch Alternativen und Kontingenzaufklärung, didaktische Reflexion durch Selbst und Fremdaufklärung, Dominanz von Zeichensystemen, neue Begrifflichkeiten und Visionen als Alternativen, didaktisches Handeln mit theoretischer Rahmen, aber kontingent und unsystematisch. Dazu kommen Referenzen wie Techniken der Mustervariation, Mustererkennung mit Hilfe einer Theorie, Musterbildung durch unbewusster Kompetenz, Festlegung für den Bedarf an Entscheidungsregeln, Fachsprache und Theorieorientierung, Unterlassungswege erkunden, Mittel und Methoden der Parallelisierung erkunden, Logiken der Behauptung, der Abduktion, des Relativen, des Gegensatzes mit Lernenden trainieren, Technologie der Metakommunikation mit Lernenden trainieren, Zirkuläres Fragen anwenden, Szenischer Rollentausch mit Lernenden üben, szenische Aufstellungen, Metaphorische Aktionen vorbereiten und erproben, Reframing, Diskursverfahren, semantische Reflexion, NLP Verfahren selektieren und nach ihrer Eignung für das eigene Lehrverhalten erproben.
Literatur:
Kösel, E. (1997): Die Modellierung von Lernwelten,
Band 1 Die Theorie der Subjektiven Didaktik. 3.Aufl.Bahlingen
Kösel, E.(2006): Die Modellierung von Lernwelten Band 3.
Die Entwicklung postmoderner Lernkulturen. Bahlingen